Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

2024/5

Weiterbildungsförderung

Das pädiatrische Versorgungsgefährdungspuzzle verkleinern: Weiterbildungsförderung entdeckeln!

Die meisten Kolleginnen und Kollegen sind sich einig: Als niedergelassene Kinder- und Jugendärzt*innen arbeiten wir in einem der schönsten Berufe. Wir kämpfen für den Erhalt unserer Profession, denn wir schulden dies unseren Enkeln und unserem beruflichen Nachwuchs. Vor 10 Jahren verhinderten die PädNetzS e.G. in enger Zusammenarbeit mit dem bvkj-Landesverband BW die gesetzliche Delegitimierung von ca. 200 pädiatrischen kassenärztlichen Versorgungsaufträgen in Baden-Württemberg. Heute müssen wir für die entdeckelte Weiterbildungsförderung kämpfen, damit diese Sitze nicht durch Nachwuchsmangel sterben!

Der schönste Beruf

Gesundheitsversorgung findet zwischen Menschen statt, die sich gegenseitig helfen, gesund zu bleiben oder zu werden. Professionalisierte Gesundheitsversorgung unterliegt dabei vielen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Diese gibt sich unsere Gesellschaft, um für ein geordnetes Miteinander zu sorgen. Deutschland baut seine ambulante Gesundheitsversorgung traditionell auf freiberuflich tätige Gesundheitsfachberufe. Dies geschieht aus dem Gefühl heraus, dass langfristig tragende zwischenmenschliche Beziehungen für eine gute Gesundheitsversorgung essentiell sind. Sinnempfinden motiviert dabei intrinsisch: Wir strengen uns an, um Gesundheitsthemen für konkrete Menschen verstehbarer und handhabbarer zu machen.

2014 sagten 10.000 durchschnittlich 53-jährige niedergelassene Kolleg*innen dem Meinungsforschungsinstitut infas:

  • „Meine Arbeit macht mir Spaß“
  • Mehr als acht von zehn würden Ihren Beruf wieder ergreifen.
  • Sie schätzten in der Niederlassung den persönlichen Spielraum und die Möglichkeit, das Arbeitsumfeld an die eigene Persönlichkeit anzupassen.
  • Sie arbeiteten durchschnittlich 54h wöchentlich und versorgten hausärztlich 52 Patienten tgl. und fachärztlich 38 Patienten tgl.,
  • 80% fühlten sich in ihrem Privatleben dadurch beeinträchtigt.
  • Nachfolger*innen zu finden, war für viele Hausärzte schon damals schwierig (Rieser, 2014).

Wir wünschen unserer Gesellschaft eine flächensichere und ressourcengerechte medizinische Versorgung, denn unser ärztliches Grundverständnis verträgt sich nicht mit Diskriminierung. Den Einzelnen versorgen wir aber immer in einem widersprüchlichen und unauflösbarem Spannungsfeld zwischen:

  1. der Wissenschaft (z.B. Studienwissen),
  2. dem eigenen Verstehen durch klinische Erfahrung,
  3. den Erwartungen des Patienten und
  4. nicht zuletzt entsprechend der geschuldeten gesellschaftlichen Solidarität (der Vorgaben zur Wirtschaftlichkeit, Angemessenheit, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit WANZ des SGBV).

Insgesamt sucht man gemeinsam mit dem Patienten die für ihn angemessene Balance dieser vier Grundgrößen. Ärzte übernehmen damit auch gesellschaftlich die Aufgabe, mit täglicher Dialektik im Kleinen das Kollektivrisiko Krankheit angemessen zu individualisieren, ohne den Staat als Institution damit in einen Wertekonflikt zu bringen (Siebolds, 2014). Insofern findet sich im Glossar des Gesundheitsleitbildes Baden-Württemberg seit 10 Jahren der Satz:

Arbeiten wir mit uns bekannten vertrauenden Patienten, entscheiden Geübte innerhalb dieses Spannungsfeldes vergleichsweise zielgerichtet und manchmal sehr schnell. Die Zahl der betreuten Patienten in einer Vertragsarztpraxis sind anders nicht verständlich und vermutlich in keinem anderen medizinischen Setting möglich. Die langjährige Verbindlichkeit einer Niederlassung fördert diese Langfristbeziehungen zu den Patienten und das Netzwerk mit den Kolleg*innen und damit das schnelle, rationale Arbeiten. Dies ist befriedigend. Allerdings ist es auch wichtig, genug Zeit zu haben, um Probleme nachhaltig lösen zu können und den Patienten unabhängiger vom Arzt zu machen.

Ganz wichtig dabei ist aber: Eine gute Balance zwischen Über- und Unterversorgung stärkt die Freiheit in der Patientenbeziehung und damit das Vertrauen zwischen Arzt und Patient: Denn keiner ist dann auf den anderen zu sehr angewiesen bzw. ihm ausgeliefert. Ärzte, die sich vor Patienten nicht retten können, werden keine gute Medizin machen. Und wenn bei Überversorgung Konkurrenz um Patienten unter Freiberuflern das Geschäft „belebt“, kann dies auch dazu führen opportunistisch medizinisch so zu handeln, dass man Patienten mehr „bindet“ als dies selbstkritisch betrachtet für den Patienten sinnvoll erscheint. Gutes medizinisches Handeln braucht planbare Sicherheit, damit der Arzt sich auf seine Patienten konzentrieren kann, ohne ständig an die wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Folgen für sich selber und sein Team denken zu müssen.

Was unterscheidet die Pädiatrie von vielen anderen
Fächern? Kinder wirken mit ihrer frischen Vitalität mit jedem
Lächeln verjüngend. Sie entschädigen hiermit nicht nur die Eltern, die sich um sie mühen. Daher haben Pädiater unter allen Fachgruppen (zumindest in USA) eine mehr als sieben Jahre höhere Lebenserwartung im Vergleich zu ihren Kollegen anderer Fächer, arbeiten mehr und länger und gehen später in Rente bei allerdings oft kleinerem Gehalt (Steele, 2015). Andererseits stressen besonders in der Pädiatrie folgenreiche Fehlentscheidungen: Dies kann zu Schuldgefühlen, Angst, Schwund des Selbstvertrauens und des Vertrauens in das Gesundheitssystem, Alkoholismus und sogar zum Suizid führen. Die Behandlung zukünftiger Patienten kann unter Defensivmedizin leiden (Potura et al., 2023). Kindern in der Behandlung etwas zuzumuten, ist oft besonders schwer. Und es ist schwer, zwischen dem wohlverstandenen Interesse des Kindes und denen der Eltern zu vermitteln, wenn dieses nach ärztlicher Ansicht nicht ganz übereinstimmt. Ferner lassen sich Kinder oft nicht so einfach befragen und untersuchen. Vieles braucht mehr Zeit. Ein neues Problem sind die Sprach- und Kulturbarrieren bei den stark zunehmenden Kinderzahlen der Familien mit Migrationshintergrund. Zum Glück haben wir Google-Translate, aber damit dauert alles ca. dreimal so lange.

Warum fehlt überhaupt Nachwuchs?

2023 hatte Baden-Württemberg 206 Einwohner*innen je berufstätigem Arzt bzw. berufstätiger Ärztin und liegt damit im bundesdeutschen Mittelfeld. Die Arztdichte hat sich seit den 1980er Jahren verdoppelt. International sind wir eines der Länder mit der größten Arztdichte (Statistisches Bundesamt, 2024). Rein rechnerisch war jeder Deutsche 2021 knapp zehnmal beim Arzt. Diese Konsultationshäufigkeit hat sich seit 1991 ebenfalls verdoppelt. Jährlich geben wir rund 474Mrd.€ für die Gesundheit aus, (13,2% vom BiP), was eher viel ist. Hiervon werden jährlich gut 112 Mrd.€ Ärzt*innen vergütet (Statistisches Bundesamt, 2024). Politikern, die nur diese Zahlen kennen, ist ein Nachwuchsmangel schwer zu vermitteln.

Gesundheitspolitisch will man seit 1990 die Ärztezahlen und die abgerechneten Leistungen der Ärztinnen und Ärzte mit immer neuen Mechanismen begrenzen, damit die Krankenkassenbeiträge nicht zu sehr steigen. Neben der Budgetierung ist die Bedarfsplanung so ein Werkzeug: Am Stichtag 31.12.1990 gab es pro niedergelassenen Pädiater in Deutschland durchschnittlich 3369 Kinder und Jugendliche (Bedarfsplanungs-Richtlinie, 2023). Zu Beginn der Bedarfsplanung 1993 wurden diese Verhältniszahlen als 100%-Vollversorgung festgeschrieben und dies galt fort bis 2019. Vor der angekündigten Niederlassungssperre hatten sich bis 1993 schnell noch viele junge Kollegen niedergelassen (sog. „Seehofer-Bauch“); diese gehen jetzt 30 Jahre später in Rente. Die Verteilung der Kinder- und Jugendärzte als Hausärzte für Kinder wurde seit 2013 wie bei allgemeinen Fachärzten beplant: Ein Versorgungsgrad von 100% bestand seither:

  • wenn in einem Zentrum (z.B. Stuttgart, Heilbronn, Ulm, Freiburg) 2405 Kinder und Jugendliche auf einen Kinder- und Jugendarzt kamen
  • im engeren Verflechtungsraum (z.B. Böblingen, Calw) waren dies 4372
  • und in einem Gemeindeverband ausserhalb einer Großstadt (z.B. Ravensburg, Reutlingen, Konstanz) 3859 (Jansen, 2014b).

 

2014 kam in Baden-Württemberg jedoch ein Kinder- und Jugendarzt auf durchschnittlich 2500 Kinder- und Jugendliche (Jansen, 2014a). Haben die alle nichts zu tun? Nun, es hatte sich seit 30 Jahren viel verändert:

  • Die Vorsorgen (seither zusätzlich: U9, J1, U10, U11, J2, U7a) und Impfungen (seither zusätzlich: HiB, HepB, 2. MMR, 2x Windpocken, 3x Pneumokokken, 4x Meningokokken, 2-3x HPV, 2-3x Rotavirus, neuerdings RSV) hatten sich mehr als verdoppelt.
  • Mit der politisch gewollten früheren Betreuung sehr kleiner Kinder in Tageseinrichtungen kam es zu vermehrten frühen Infekten und einem erheblichen Bedarf an Kinderkrankentagegeldbescheinigungen für doppelt berufstätige Eltern.
  • Die DRGs in den Kliniken seit 2003 führten durch frühere Entlassungen zur Verschiebung vieler Aufgaben in die Praxen.
    Die unterfinanzierte Sonographie wurde Standard in der pädiatrischen Praxis (das Hüftscreening wurde erst 1996 eingeführt).
  • Die Kinder und Jugendlichen blieben länger beim Pädiater, da auch die Allgemeinärzte zunehmend weniger Zeit für sie hatten. Der Kinderarzt wird seit 2005 als Kinder- und Jugendarzt bezeichnet, viele Kolleg*innen bildeten sich 1994-2019 jugendmedizinisch u.a. auf den großen jährlichen Kongressen für Jugendmedizin des bvkj in Weimar fort. Diese wurden nach der CoViD-Zeit eingestellt, weil das Interesse abgenommen hatte: Viele Pädiater*innen sagen, dass sie die Versorgung der Neugeborenen und kleinen Kinder wieder priorisieren müssen und die Jugendmedizin höchstens noch auf kleinerer Flamme praktizieren können. Während es zu Beginn der 2000er Jahre noch Grabenkämpfe zwischen Allgemeinmedizinern und Pädiatern um Zuständigkeiten gab, sitzt man seit den 2010er Jahren im gemeinsamen Boot der erlebten Mangelversorgung und sucht Schulterschlüsse.

 

Alles in allem war die Anzahl der Kinder und Jugendlichen im Land von 1997 bis 2014 um 19% zurückgegangen, nur so war alles zu schaffen. Die Fallzahlen der Kinder- und Jugendärzte waren dabei gleichgeblieben.(Jansen & Mohr, 2014). Dies alles führte schon 2014 zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen erlebter Versorgung und offiziell festgelegtem Überversorgungsgrad.

Die letzten 10 Jahre

2014 wollte der damalige Bundesgesundheitsminister Gröhe erreichen, dass die angeblich überversorgten Städte Versorgungsaufträge für das unterversorgte Land abgeben. Im Referentenentwurf für das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) vom 9.10.2014 war zunächst geplant, dass bei Überversorgung auf dem Papier von über 110% die Nachbesetzung eines Kassenarztsitzes abgelehnt werden sollte (davor: könnte). Dies stellte 200 pädiatrische Kassenarztsitze (25%) in Baden-Württemberg akut zur Disposition (Jansen, 2014b).
Berufspolitisch aktive Kollegen aus der 2008 gegründeten PädNetzS-Genossenschaft und dem Landesverband des bvkj ermöglichten Thomas Jansen mit einer fünfstelligen Summe eine ad-hoc Umfrage („wünschen Sie sich einen weiteren Kollegen in direkter Nachbarschaft, nehmen Sie bestimmte Patientengruppen nicht mehr neu auf“ etc.) mit 81% Rücklauf (!). Diese belegte, wie die Versorgung an der Basis erlebt wurde. Ferner fasste Thomas Jansen die Entwicklungen der Versorgungsplanung und des Berufsalltages zusammen (Jansen, 2014a).

Wir forderten auf dieser Grundlage von der Politik u. a.

  • eine wirklich bedarfsbezogene Planung,
  • eine Förderung der Weiterbildung in den Kinder- und Jugendarztpraxen (die ursprünglich nicht vorgesehen war)
  • eine Beplanung als Hausärzte (weil in der Pädiatrie nicht
    die Städte das Land mitversorgen und eine wohnortnahe Versorgung wichtig ist).

 

Wir überzeugten den damaligen bvkj-Bundesvorstand und den Landes-KV-Vorstand und gingen persönlich zu allen maßgeblichen Bundestagsabgeordneten des Landes, um ihnen zu erklären, was die Umsetzung des damaligen Gesetzesvorhabens für die kinder- und jugendärztliche Versorgung in je ihrem Wahlkreises konkret bedeuten würde. Unsere Publikationen wurden allen Bundestagsabgeordneten geschickt. Wir nahmen an einer parlamentarischen Frührunde am 23.3.2015 teil, bei der drei Pädnetzler acht Mitgliedern des Gesundheitsausschusses erklärten, was auf dem Spiel stand.

Alles zusammen begegnete einem erheblichen Informationsdefizit unter den Parlamentariern und fiel so auf fruchtbaren Boden: Als das GVK-VSG am 11.6.2015 beschlossen wurde, war ein Großteil unserer Änderungswünsche berücksichtigt: Der G-BA sollte eine neue Bedarfsplanung erstellen. Der Zulassungsausschuss überprüfte die Nachbesetzung eines frei werdenden Vertragsarztsitzes erst ab einer Überversorgung von 140% und nicht schon ab 110% und nicht zuletzt wurde als echte Verbesserung die ambulante Pädiatrie erstmals mit anderen grundversorgenden Fachärzten in der Weiterbildungsförderung mit berücksichtigt, wenn auch auf 1000 Stellen (darunter ca. 200 Pädiaterstellen) kontingentiert (Kuhn, 2015).
Die Bedarfsplanung wurde dann 2019 neu gefasst: Für die Pädiatrie wurden 15% mehr Sitze legitimiert: Fortan war eine Großstadt mit einem Pädiater auf 2044 Kinder vollversorgt (also die Landkreise Stuttgart, Heilbronn Stadt, Karlsruhe Stadt, Heidelberg, Mannheim, Pforzheim, Freiburg und Ulm) und der Rest der Landkreise mit einem Kinder- und Jugendarzt auf 2863 Kinder und Jugendliche (Bedarfsplanungs-Richtlinie, 2023).

Das schon 2014 absehbare Problem war, wer diese ganzen zusätzlichen Versorgungsaufträge ausfüllen sollte, denn es gab schon 2014 viel zu zu wenige Kolleginnen, die eine Praxis führen wollten. Denn auch folgendes kommt hinzu:
Ein niedergelassener Arzt alten Schlages arbeitete für zwei: Für sich und seine Ehefrau, die mit ihm notfalls auf das Land zog und ihm den Rücken freihielt und deren Care-Arbeit dabei gesamtgesellschaftlich schon immer unterschlagen wurde. Derzeit gehen jedoch 80% der Facharztanerkennungen in der Pädiatrie an Frauen. Diese haben Ehemänner, die oft ebenfalls in verantwortlichen Positionen arbeiten. Folglich teilen sich oft zwei junge Ärztinnen die Arbeit eines ehemaligen alten Arztes. Sie müssen sich dann mit neuen Begrenzungen auseinandersetzen (Jobsharingdeckel etc.). Oder ihr geringeres Arbeitsvolumen pro Versorgungsauftrag verschlechtert die reale Versorgung bei nominell wieder zunehmender Überversorgung. Auch dies verschärft den Kampf um Nachwuchs. Die Medizinstudienplätze wurden nach der Wiedervereinigung 1990 reduziert und der erforderliche Numerus clausus wurde von Jungen statistisch immer seltener geschafft. Wieder mehr Medizinstudienplätze zu schaffen, würde in jedem Fall helfen. Aber leider erst unseren Enkeln.

Um gegenzusteuern, wurde vor allem durch den Kollegen Herrn Fehr mit Hilfe der DGAAP massiv in die Strukturen guter ambulanter Weiterbildung investiert:
Es wurde ein kompetenzbasiertes Curriculum auf der Höhe der Zeit entwickelt und zunehmend implementiert, es wurde eine Akademie gegründet und von PädNetzS zwischenfinanziert (Deichmann, 2021) und viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen schrieben gemeinsam ein Lehrbuch für ambulante pädiatrische Grundversorgung (Fegeler et al., 2017). Es verging kaum eine berufspolitische Veranstaltung, auf der Herr Fehr nicht prägnant und begeisternd den Kolleg*innen die Weiterbildungsaufgaben ans Herz legte und dafür warb bis hin zu ganz praktischen Hilfestellungen.

Wenn genug Weiterbildungskapazitäten in den Praxen vorhanden wären, würden alle davon profitieren: Denn die Inhalte der neuen Weiterbildungsordnung können gar nicht mehr nur in Kliniken vermittelt werden, so dass die volle Weiterbildungsermächtigung der Kliniken im Grunde mittelfristig zur Disposition steht. Bei einer verpflichtenden Praxisweiterbildung würden jedoch zur Zeit noch unerträgliche Flaschenhälse in der Weiterbildung entstehen; sie ist aber eigentlich notwendig, wenn man die Weiterbildungsordnung korrekt umsetzen würde. Und wenn zukünftig alle Pädiater*innen einen Teil ihrer Weiterbildung in Praxen durchlaufen haben, wird sich dies positiv für das Verständnis der Kliniker für das Praxisgeschehen und damit auch für die sektorenverbindende Versorgung auswirken.

Bild 1:
Für Pädiater niederlassungsoffene und -geschlossene Bezirke in Baden Württemberg https://www.kvbawue.de/praxis/niederlassung/bedarfsplanung-offen-oder-gesperrt? (Abruf 14.11.24)

Tabelle 1:
Versorgungsgrade und Altersstruktur der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzt*innen auf Landkreisebene. Stand Ende September 2024.

Viele Praxen wendeten sich dieser neuen Weiterbildungsaufgabe zu. Dies dauerte aber eine Weile: Man muss eine Weiterbildungsermächtigung beantragen, die Praxis umorganisieren, die Patienten und Abläufe darauf vorbereiten etc. pp. Schließlich waren aber 7 Jahre später bis 2022 so viele Praxen dabei, dass der Weiterbildungsförderungstopf erstmals leer war und die Förderung nicht mehr zuverlässig genehmigt werden konnte. Diese fehlende Planbarkeit war äußerst hinderlich: Man konnte Bewerberinnen nicht mehr rasch und zuverlässig zusagen, die wirtschaftliche Planbarkeit war dahin (Fehr & Kauth, 2024). Derzeit wird über das Modell nachgedacht, ob sich die Kommunen zu einer subsidiären Förderung entschließen könnten, weil für sie anders die Versorgung nicht zu verbessern ist. Und ein fehlender Kinder- und Jugendarzt ist ein echter Standortnachteil.

Die Begrenzung der Weiterbildungsförderung traf auf eine vor allem in den Infektwintern 22/23 und 23/24 zunehmend angespannte Versorgungslage. Diese war schon ab den Jahren 2016 regional verschieden zunehmend löchrig: Es waren wieder mehr Kinder auf die Welt gekommen und vor allem auch zugezogen (Jansen, 2016). So häuften sich ab 2017 in Tageszeitungen, Funk und Fernsehen Berichte über Eltern aus angeblich überversorgten Gebieten, die keinen Kinder- und Jugendarzt mehr fanden und wie sich dies familiär auswirkt z.B. (Klug, 2017), (Volland, 2017), (Eckstein, 2017). Von den bis auf zwei ehemals sämtlich für Praxisneugründungen gesperrten roten Gebiete in Baden-Württemberg sind unterdessen 15 (ca. 30%) offen, drei (Pforzheim, Calw und Biberach) mit erheblichen Förderzusagen für Praxisneugründungen seitens der KV (welche teilweise von den dann weiter zu kürzenden Honoraren der im Land noch arbeitenden Ärzte bezahlt werden müssen), weil der Sicherstellungsauftrag der KV hier akut gefährdet ist.

Doch auch den Kinderkliniken geht es nicht gut. Deren Arbeit ist in den DRGs nicht auskömmlich abgebildet. Viele Klinikgeschäftsführer müssen im Kampf gegen rote Zahlen für ihre Häuser die Ressourcen der Pädiatrie kürzen, da mit Investitionen in der interventionellen Erwachsenenmedizin mehr und vor allem planbarer Geld zu verdienen ist. Ausbaden muss es dann zum Beispiel der Stellenplan der Kinderkrankenpflege, der ausgedünnt erst zu mehr Arbeitsstress führt und danach zu höherem Krankenstand. Andererseits fehlt mit der neu reformierten generalistischen Pflegeausbildung auch hier der qualifizierte Nachwuchs. Seit entsprechenden Gesetzen zur Qualitätssicherung müssen nun landauf landab Betten gesperrt werden, wenn nicht genug Pflege da ist. Dies setzt die diensthabenden Ärztinnen und -ärzte bei Krankheitswellen unter vermehrten Stress: Als im Post-Corona-Infektwinter 22/23 sehr kranke Kinder kein Bett mehr bekamen und stundenlang quer durch das Land vermittelt werden mussten, schlossen sich junge Kolleginnen und Kollegen verschiedener Berufsgruppen aus verschiedenen stationären und ambulanten Bereichen der Kindermedizin im Ländle zusammen, um gemeinsam ihre Forderungen an die Politik öffentlichkeitswirksam vorzutragen (Fehr, 2023). Sie wurden vom baden-württembergischen Sozialministerium gefördert, gehört und zweimal eingeladen (Bendig, 2023) (der dritte Termin ist am 15.1.2025 geplant). Landessozialminister Lucha sagte unter anderem zu, weitere zehn Vollzeitstellen für ambulant Weiterzubildende zu fördern, bis das Bundesgesundheitsministerium die Weiterbildungsförderung in der Pädiatrie der Allgemeinmedizin gleichstellen würde. Letzteres hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach mehrfach fest versprochen. Dies war auch höchste Zeit, denn der (lange erwartete) Pädiaterschwund setzt sich weiter fort: Neugeborene Kinder bekommen in 8 Landkreisen keine zeitgerechten Termine mehr (trotz Verdopplung des U3-Honorars seitens der Landes-KV), chronisch kranke Kinder in 11 Landkreisen, Migranten in 12 Landkreisen und zugezogene Kinder in 14 Landkreisen. In 5 Jahren erwarten die Kollegen für die Mehrheit der Landkreise eine angespannte Versorgung (Fehr & Pfeil, 2024). Bisher wurden solche Prognosen seitens der Politik immer als Dramatisierung abgetan. Leider haben sie sich bisher dann trotzdem genauso bestätigt.
Unterversorgung beginnt damit, dass Ärzt*innen sich nicht mehr über neue Patienten freuen und heißt bei Fortschreiten konkret, dass Kinder nicht mehr geimpft werden und auch die nach Landeskinderschutzgesetz verpflichtenden Vorsorgen nicht mehr vollständig erbracht werden können. Man kann bei mangelnder Kompensation durch Nachbarlandkreise oder die Allgemeinmedizin dann von struktureller Kindeswohlgefährdung sprechen, welche die auch sonst schon benachteiligten Kinder ressourcenschwacher Familien vorrangig trifft.

Doch auch in gesperrten Gebieten, in denen Kinder- und Jugendärzte nicht alle Kinder versorgen können, gibt es schon 5-stellige Förderzusagen seitens der Kommunen wie z.B. in Stuttgart (Landeshauptstadt Stuttgart, 2024), die zwar das strukturelle Grundproblem nicht lösen werden, aber die Verzweiflung und den Handlungsdruck der Kommunalpolitiker demonstrieren. Diese haben aber hinsichtlich Praxisneugründungen wenig Gestaltungsmöglichkeiten, solange ein Gebiet per Definitionem gesperrt ist wegen angeblicher Überversorgung.

Anderswo geben langjährig niedergelassene Ärzte mit Burn-Out oder aus Frust über das System oder beidem ihre Kassenzulassung vorzeitig zurück und praktizieren privat weiter, weil sie sich hiervon mehr Möglichkeiten versprechen, noch gute Medizin machen zu können (Koerner, 2024),(Faist, 2024),(Lück & Reckert, 2024). Teilweise machen sie Übergangsmodelle, indem sie zunächst einen halben Sitz abgeben und in der gewonnenen Zeit vermehrt Selbstzahlerleistungen anbieten (REPORT Mainz, 2024).

Die Tabelle 1 wurde im frühen Herbst 2024 gefertigt. Seither ist im LK Rottweil eine Ärztin den Ruhestand gegangen, in Villingen-Schwenningen wurde eine Kassenzulassung zum 1.10.24 zurückgegeben und zum 1.1.25 wird dort eine weitere Doppelpraxis ohne Nachfolger in den Ruhestand gehen. Im LK Freudenstadt hat eine Doppelpraxis zum 1.1.25 geschlossen ohne Nachfolge; der Inhaber arbeitet privat weiter. Gleiches im LK Heilbronn Stadt.

Weiterbildungsförderung entdeckeln

Derzeit ist ein GKV-Versorgungsgesetz in dem parlamentarischen Verfahren. Noch letztes Jahr hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach versprochen, die Förderung der ambulanten pädiatrischen Weiterbildung mit der in der Allgemeinmedizin gleichzustellen. Dies ist im entsprechenden Gesetzentwurf nicht mehr enthalten. Wir appellieren an die Parlamentarier aller Fraktionen, dies im letzten Moment wieder hinein zu verhandeln. Es ist die einzige Möglichkeit, mittelfristig die pädiatrische Versorgung zu sichern. Wie dies konkret zu tun ist (bis zum möglichen Wortlaut der zu beschließenden Änderungen der Gesetzestexte sowie der finanziellen Konsequenzen) wurde in der PädNetzS-Info 2024/2 schon beschrieben.

Geändert werden muss der SGB V §75a (1) in:

„Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die
Krankenkassen sind zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung verpflichtet, die allgemeinmedizinische und kinder- und jugendmedizinische Weiterbildung in den Praxen zugelassener Ärzte und zugelassener medizinischer Versorgungszentren zu fördern. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen tragen die Kosten der Förderung für die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin und
der Kinder- und Jugendmedizin im ambulanten Bereich je zur Hälfte.“
(Fehr & Kauth, 2024)

Während die 7500 Stellen für die Allgemeinmedizin bei weitem nicht ausgeschöpft sind, sind die Fördergelder für die sogenannten „grundversorgenden Fachärzte“ und damit bisher auch für die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte komplett ausgeschöpft. Auf einen Pädiater kommen ungefähr 10 Allgemeinärzte. Man könnte also als einen Zwischenschritt die geförderten pädiatrischen Weiterbildungsstellen von ca. 200 auf 750 erhöhen. Die PädnetzS eG wäre womöglich ein guter Partner für die Kliniken für einen landesweiten Weiterbildungsverbund.

Ob es aber überhaupt noch zu einem erfolgreichen Gesetzesvorhaben kommt, ist nach dem Ampel-Aus vom 6.11.24 leider ungewiss. Deswegen wird dieses Anliegen aber nicht von der politischen Agenda verschwinden. Vielmehr müssen sich die Parteien im bevorstehenden Bundestagswahlkampf daran messen lassen, ob sie sich eine nachhaltige, enkeltaugliche Politik in das Parteibuch schreiben. Der bvkj hat auf seiner Delegiertenversammlung am 16.11.24 daher einen Pakt für Kindergesundheit formuliert, der entsprechende Forderungen enthält.

Till Reckert
Gemeinschaftspraxis für Pädiatrie
Dr T Reckert, A Marx und Dr J Gerhardt

Till Reckert im bvkj:
Landesverband Baden-Württemberg: Landesvorstandsmitglied und Landespressesprecher
Bundesverband: Beauftragter für den Mediengebrauch
durch Kinder- und Jugendliche (kooptiert in den Präventionsausschuss).

Literatur:
siehe ganze Printausgabe als PDF