Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

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2024/4

Versorgungssituation und Versorgungsgerechtigkeit

Pädiatrische Grundversorgung

In den vergangenen Ausgaben haben wir über die Versorgungsumfrage beider PädNetze in Baden-Württemberg berichtet, an der im Zeitraum Januar–Februar 2024 Antworten von 269 Personen eingegangen waren.

Grundversorgende Kinder- und Jugendärzt*innen sollten einschätzen, welche typischen Tätigkeiten der Grundversorgung sie von „problemlos“ über „schwierig“ bis „katastrophal“ bewältigen. Diese Tätigkeiten wurden wie folgt beschrieben:

F2 „Wie gelingt die Versorgung von neugeborenen Kindern in Ihrem Versorgungsgebiet? Werden alle anfragenden Neugeborenen versorgt und bekommen diese Kinder einen zeitgerechten Termin für die U3?“

F3 „Wie gelingt die Versorgung neu Zugezogener?“

F4 „Wie gelingt die longitudinale Begleitung und Betreuung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher?“

F5 „Wie gelingt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im jeweiligen Versorgungsgebiet“

Die Antwort „das ist in unserem Versorgungsgebiet problemlos möglich“ (im Balkendiagramm dargestellt durch die Farbe Grün) wird in der Umfrage von F2 über F3, F4 bis zu F5 immer seltener angekreuzt: bei F5 beträgt der grüne Anteil des Balkens sogar weniger als 1%.

Parallel dazu nimmt die Häufigkeit der Antwort „das ist in unserem Versorgungsgebiet katastrophal, >25% der Patienten werden nicht adäquat versorgt werden“ (dargestellt durch die Farbe Violett) zu: der violette Anteil des Balkens nimmt von F2 bis F6 auf knapp 30% zu.

Wie wird die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg KVBW erstellt?

Die aktuelle Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gilt seit 1. Januar 2013. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat nach Maßgabe der vom G-BA erlassenen Bedarfsplanungsrichtlinie im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen den Bedarfsplan über den Stand der vertragsärztlichen Versorgung aufgestellt. Grundlage der Bedarfsplanung ist das Verhältnis der Zahl der Vertragsärzte bzw. -ärztinnen bezogen auf die Zahl der Einwohner in einem bestimmten Planungsbereich. Für die Versorgungsebene der allgemeinen fachärztlichen Versorgung – dazu gehören wir Kinder- und Jugendärzt*innen – ist die kreisfreie Stadt bzw. der Landkreis der Planungsbereich. Die Bedarfsplanung in Gestalt des Bedarfsplans dient einer mittel- und langfristigen Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung durch eine möglichst gleichmäßige Verteilung. Dies beinhaltet Feststellungen zum Ist- und Sollstand der ärztlichen Versorgung sowie der Berechnung des Bedarfs an Ärztinnen und Ärzten entsprechend den Berechnungsvorgaben der Bedarfsplanungs-Richtlinie.

 

Wie passen unsere Umfrageergebnisse zu den von der KVBW ermittelten Veränderungen im Versorgungsgrad im Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin?

Die besorgniserregende Bilanz unserer Umfrage wird durch die KVBW Studie untermauert:

  • Nur in zwei der 44 Stadt-/Landkreise in Baden Württemberg wurde die Versorgungslage innerhalb der letzten zehn Jahre besser (um 0,7% bzw.um knapp 5%)
  • Der Versorgungsgrad im übrigen Land sinkt – teils sogar über 35%
  • Die Verschlechterung in der Versorgungskapazität betrifft den ländlichen Raum ebenso wie die Städte

Ein „Weiter so“ kann damit keine angemessene Parole sein. Die ärztliche Behandlungszeit, die wir für die kinder- und jugendärztliche Versorgung zur Verfügung haben, wird immer geringer. Höchste Zeit, zu prüfen, wie wir darauf reagieren können.

Mit der Veröffentlichung in der vergangenen PädNetz Info wird deutlich, dass es sich nicht um einen vorübergehenden Trend handelt. Es ist kein verregneter Sommer, sondern eine robuste, einfach nachzuvollziehende Entwicklung. Kooperierende Fachgebiete wie Allgemein- und hausärztliche Innere Medizin haben noch viel drastischere Rückgänge bei der Versorgungskapazität von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren zu verzeichnen.
Dies bestätigt eine Statistik des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi): Die Anzahl der Behandlungsfälle in Kinder- und Jugendarztpraxen (gesamt, hausärztlich oder mit Schwerpunkt) steigt seit Jahren kontinuierlich an, während sich der Anteil der Fachärzt:innen für Allgemeinmedizin, Praktischen Ärzt:innen und hausärztlich tätigen Internist:innen an der Primärversorgung von Kindern und Jugendlichen verringert.

Auch an den Zahlen der Früherkennungsuntersuchungen lassen sich die Versorgungsenpässe ablesen: Die Anzahl lebend geborener Kinder steigt von 2010 bis 2017 von 678 000 auf 785 000. Die Anzahl der Jugendgesundheitsuntersuchungen J1 fällt hingegen von 273 000 auf 218 000.
Bei den Allgemeinärzt:innen und hausärztlichen Internist:innen sieht es nicht besser aus: Erhalten dort 2010 noch 108 000 Jugendliche die J1, sind es am Ende der genannten Zeitspanne nur noch 59 000. Unsere Kolleg:innen aus anderen Fachgebieten werden uns also nicht am Schopfe aus der Misere ziehen können. Im Gegenteil.

Was können wir selbst tun?

Weniger selbst. Kritischer fragen:
Kann diese oder jene Aufgabe nur von mir durchgeführt werden? Kann das niemand sonst genauso gut oder besser? Können das meine Mitarbeiter:innen jetzt schon oder sind sie willens, bereit und in der Lage, es zu lernen? Wie viele SOPASS https://www.dapg.info/ kenne ich, wie viele beschäftige ich? Mehr kooperieren. Schwerpunkte setzen und anderen bekannt machen. Weniger Futterneid.

Was keine Lösung ist:
Abwarten, bis gar nichts mehr geht. Im letzten Moment anfangen weiterzubilden, damit sich jemand findet, der mein Geschäft übernimmt. Lieber rechtzeitig und im Verbund mit anderen. Dazu brauchen wir ein tragfähiges Netzwerk ambulant tätiger Kinder- und Jugendärzt:innen in der Grundversorgung.

Was müssen wir fordern?

  • Die Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen in der studentischen Ausbildung besser sichtbar machen. Lehrpraxen für Kinder- und Jugendmedizin an allen Universitäten etablieren, fördern, finanzieren, vernetzen
  • PJ im Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin an allen Universitäten hälftig in der Grund- und in der Spezialversorgung
  • Weiterbildung im Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin analog Allgemeinmedizin fördern
  • Obligater Anteil der Facharztweiterbildung in der Grundversorgung
  • Hausarztzentrierte Versorgungsformen stärken
    Stipendienprogramm für Physician Assistents in der Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen
  • Stipendienprogramm für Medizinische Fachangestellte MFA in der Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen für die Pädiatrische Fachassistenz
  • Maßgeschneiderte Ausbildung für MFA in grundversorgenden Praxen


Folkert Fehr