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Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

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2/2024

Versorgungssituation der Kinder- und Jugendmedizin in Baden-Württemberg

Umfrage 2024

Einleitung

Die ambulante Kinder- und Jugendmedizin sichert in Baden-Württemberg die kinderärztliche Grundversorgung für knapp 2 Millionen Kinder und Jugendliche < 18 Jahre. Es gibt hierfür rund 750 kinder- und jugendärztliche Versorgungsaufträge in rund 450 Praxen.

In den letzten Jahren sind zunehmende Herausforderungen in der ambulanten Kinder- und Jugendmedizin festzustellen. So kam es beispielsweise durch neu eingeführte Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen sowie Zunahme sozialpädiatrischer Krankheitsbilder zu einem höheren Arbeitsumfang in den kinder- und jugendärztlichen Praxen. Auch die Versorgung chronisch kranker Kinder im ambulanten Bereich sowie die große Zahl von Migranten führt zu einem erhöhten Personalbedarf.
Zugleich ist es in vielen Regionen schwierig, Nachfolger in der ambulanten Versorgung zu finden.

Die pädiatrischen Netze PädNetzS sowie PaedNet Südbaden führten nun erstmals eine Umfrage unter allen niedergelassenen Kinder- und Jugendärzt:innen in Baden-Württemberg durch, um die aktuelle Versorgungslage zu erfassen. Es handelt sich hierbei um eine Erfassung der subjektiv von Kinder- und Jugendärzt:innen empfundenen Versorgungsrealität. Diese Umfrage hat somit nicht den Anspruch einer im Detail präzisen Datenerhebung. Sie liefert dennoch ein wertvolles Bild der aktuellen Versorgungslage und zeigt auf, in welchen Regionen und bei welchen Patientengruppen schon heute Probleme in der kinder- und jugendärztlichen Grundversorgung bestehen.

Methodik

Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzt:innen Baden-Württembergs wurden per E-Mail angeschrieben und gebeten, eine Online-Umfrage (SurveyMonkey) zu beantworten. Diese Umfrage wurde im Think Tank von PädNetzS konzipiert, von der Sektion Forschung der Deutschen Gesellschaft für Ambulante Allgemeine Pädiatrie DGAAP geprüft und pilotiert, vom Paednet Südbaden und dem bvkj Baden-Württemberg unterstützt und über verschiedene Verteiler einschließlich des pädiatrischen Intranets PädInform verteilt und in 2 Wellen erinnert.

Es wurden Fragen gestellt zur aktuellen Versorgungssituation von

 • Neugeborenen
 • Neu zugezogenen Kindern und Jugendlichen
 • Chronisch kranken Kindern und Jugendlichen und
 • Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie zur
 • zukünftigen (in fünf Jahren) Entwicklung


Die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen wurden gebeten, die aktuelle Situation in ihren lokalen Versorgungsgebieten einzuordnen. Dafür wurden Antwortmöglichkeiten analog zu Schulnoten von 1 bis 6 vorgegeben.

Die Antwortmöglichkeiten lauteten:

Note 1: Das ist in unserem Versorgungsgebiet problemlos
(alle Patient:innen werden ohne Probleme adäquat versorgt)

Note 2: Das ist in unserem Versorgungsgebiet gut, kostet aber einige Anstrengung (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings müssen die Patient:innen teilweise bei mehreren Praxen anfragen)

Note 3: Das ist in unserem Versorgungsgebiet noch ausreichend gut (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings bekommen die Patient:innen oft nur mit Mühe einen Termin und müssen häufig mehrere Praxen anfragen)

Note 4: Das ist in unserem Versorgungsgebiet schwierig und klappt nicht mehr vollständig (bis maximal 10% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 5: Das ist in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und und führt regelmäßig zu Problemen (11–25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 6: Das ist in unserem Versorgungsgebiet katastrophal 
(>25% der Patient:innen werden nicht aduäqat versorgt)

Die Ergebnisse dieser Umfrage werden auf Ebene der
Land- und Stadtkreise in den Farben grün (Note 1)
bis rot (Note 6) dargestellt.  

Insgesamt nahmen 259 Kolleginnen und Kollegen an dieser Umfrage teil. Aus dem Stadtkreis Baden-Baden und dem Landkreis Tuttlingen erreichten uns keine Antworten, sodass für diese Kreise keine Ergebnisse dargestellt sind.

Einordnung & Bewertung

Neugeborene
In den meisten Stadt- und Landkreisen können Neugeborene aktuell noch problemlos oder gut versorgt werden. Problematisch ist die Situation für Neugeborene insbesondere in der Stadt Pforzheim (Note 4,6), der Stadt Heilbronn (Note 4,8), im Kreis Böblingen (Note 4,7) und dem Schwarzwald-Baar-Kreis (Note 5,0). In all diesen Kreisen wird die aktuelle Lage somit als sehr schwierig eingeschätzt („Das ist in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und führt regelmäßig zu Problemen (11–25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)“.

Neu zugezogene Kinder
Ungleich schwieriger ist die Lage für Kinder, die neu in einen Stadt- oder Landkreis ziehen. In rund der Hälfte der Stadt- und Landkreise gelingt die vollständige Versorgung neu zugezogener Kinder nicht mehr vollständig (Note 4,0 oder schlechter). Besonders düster ist die Lage in der Stadt Heilbronn, hier gaben die acht teilnehmenden Kolleg:innen übereinstimmend an, dass die aktuelle Lage sehr schwierig oder sogar katastrophal ist (Note 5,5).
Familien, die eine kinder- und jugendärztliche Versorgung für ihre Kinder möchten, sollten es somit vermeiden, in die Stadt Heilbronn (und zahlreiche andere Stadt- und Landkreise) zu ziehen.  

Chronisch kranke Kinder
Bedrückend ist die Lage für besonders vulnerable Kinder mit besonderem Versorgungsbedarf. Für chronisch kranke Kinder gelingt in zahlreichen Stadt- und Landkreisen eine adäquate Versorgung nicht mehr vollständig (Note 4 oder schlechter). Das Schlusslicht ist hier der Main-Tauber-Kreis (Note 5,2).

Migranten
Wenig überraschend ist auch die Karte für die Versorgung von minderjährigen Migranten in weiten Teilen rot eingefärbt. Eine Durchschnittsnote von 3,0 oder besser erreichen hier nur noch die Unversitätsstädte Freiburg, Heidelberg und Tübingen sowie der Kreis Emmendingen.

Die Aussicht in die Zukunft
Abschließend wurde eine Frage zur Einschätzung der zukünftigen Entwicklung gestellt: „Wie schätzen Sie die Entwicklung der Versorgungssituation in den nächsten 5 Jahren ein?“. Eine Durchschnittsnote von 4,0 oder besser findet sich lediglich in den vier Städten mit medizinischen Fakultäten (Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm). In allen anderen Gebieten wird von den teilnehmenden Kinder- und Jugendärztinnen eine starke Verschlechterung der Versorgungssituation erwartet.

Neugeborene
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von neugeborenen Kindern in Ihrem Versorgungsgebiet?
Werden alle anfragenden Neugeborenen versorgt und bekommen diese Kinder einen zeitgerechten Termin für die U3?

Neu zugezogene Kinder
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von neu zugezogenen Patient:innen in Ihrem Versorgungsgebiet? Finden alle anfragenden neu zugezogenen Patient:innen eine:n Kinder- und Jugendärzt:in?

Chronisch kranke Kinder
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von Patient:innen mit chronischen Erkrankungen in Ihrem Versorgungsgebiet? Werden Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen adäquat versorgt und bekommen diese bei Bedarf zeitgerecht einen Termin bei pädiatrischen Subspezialist:innen (Kinder-
kardiologie, Neuropädiatrie, etc.)?

Migranten
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Ihrem Versorgungsgebiet? Finden alle neu nach Deutschland kommenden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund eine:n Kinder- und Jugendärzt:in?

Die Aussicht in die Zukunft
Fragestellung: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Versorgungssituation in den nächsten 5 Jahren ein?

Die Antwortmöglichkeiten für diese Frage lauteten:

Note 1: Das wird in unserem Versorgungsgebiet problemlos möglich sein (alle Patient:innen werden ohne Probleme adäquat versorgt)

Note 2: Das wird in unserem Versorgungsgebiet gut gelingen, aber einige Anstrengung kosten (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings müssen die Patient:innen teilweise bei mehreren Praxen anfragen)

Note 3: Das wird in unserem Versorgungsgebiet noch ausreichend gut gelingen (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings bekommen die Patient:innen oft nur mit Mühe einen Termin und müssen häufig mehrere Praxen anfragen)

Note 4: Das wird in unserem Versorgungsgebiet schwierig und nicht mehr vollständig klappen (bis maximal 10% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 5: Das wird in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und und regelmäßig zu Problemen führen (11–25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 6: Das wird in unserem Versorgungsgebiet katastrophal (>25% der Patient:innen werden nicht aduäqat versorgt werden)

Relevanz für die Eltern und die Politik
Die aktuelle Versorgungslage ist ernst und wird sich in den nächsten Jahren weiter verschlechtern.
Die Eltern merken es bei jedem Anruf und bei jedem Besuch in der grundversorgenden Kinder- und Jugendarztpraxis. Die Leidtragenden sind die Kinder, die bereits heute in zahlreichen Stadt- und Landkreisen nicht mehr vollständig adäquat versorgt werden können.

Konsequenz
Es gibt für die schwierige Situation der kinder- und jugendärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg weder eine schnelle noch eine einfache Lösung. Als Kinder- und Jugendärzt:innen wollen wir die Versorgung unserer Patient:innen sicherstellen, im Alltag kommen wir aber immer häufiger an Belastungsgrenzen, wo dies nicht mehr gelingt.
Liebe Eltern, bitte unterstützen Sie uns,
um auf Missstände in der Versorgung von Kindern und
Jugendlichen hinzuweisen!

Die Autoren laden ausdrücklich zu Rückmeldungen ein.
Diese Rückmeldungen können von den im Landtag vertretenen
Parteien, Körperschaften, Organisationen oder auch von Einzelpersonen mit dem Stichwort „Versorgungsatlas Kinder BW 2024“
per E-Mail an das Büro von PädNetzS gesandt werden:
info@paednetzs.de

Ausblick
Wir werden diese Umfrage jährlich wiederholen, um Trends in der kinder- und jugendärztlichen Versorgungslage sichtbar zu machen. Zugleich hoffen wir auf Basis dieser Umfrage, einen konstruktiven Dialog mit politischen Entscheidungsträgern, der konkrete Verbesserungen der Versorgungssituation beinhaltet, zu erreichen. Hierüber werden wir in den nächsten Monaten berichten.

Folkert Fehr + Johannes Pfeil