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Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

Rubriken | PädNetzS Info

2024/2

Interviewserie

Was bewegt sie? Und was bewegen sie?

In loser Folge stellen wir die aktiven Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats von PädNetzS vor. Das Interview führte Susanne Schöninger-Simon.

Rudolf von Butler
ist niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Esslingen. Er war Mitglied des Gründungsvorstands von PädNetzS und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats.

S.Sch.: Herr von Butler, Sie waren nicht nur Mitglied des Gründungsvorstands von PädNetzS, Sie haben sogar die Mitgliedsnummer 1.

R.v.B.: Die habe ich von unserem Gründungsaufsichtsratsmitglied Manfred Heitz erhalten. Er hat 2006 die ersten Versammlungen in Stuttgart initiiert, schon mit der Idee einer Vereinsgründung, damit die Kinder- und Jugendärzt:innen in Baden Württemberg sich gegenseitig unterstützen können. Ich war bereits bei den ersten Treffen dabei.

Es ging um den Hausärzteselektivvertrag, bei dem die ambulante Pädiatrie als nicht eigenständig vorgesehen war.

Aus Sicht vieler Kolleg:innen stellte dieser Vertrag eine Bedrohung des Bestands der niedergelassenen Kinderheilkunde dar. Die Existenz von Kinder- und Jugendarztpraxen, wie wir sie hier in Deutschland haben, ist europaweit nicht selbstverständlich. In England gibt es sie beispielsweise nicht, da findet sich eine spezifische Kinder- und Jugendmedizin erst in der Klinik.
Als wir auf der Suche nach einem rechtlichen Rahmen für unsere Interessengemeinschaft waren, schlug ich die Form der Genossenschaft vor. In meiner Studienzeit hatte ich den Einkauf der studentischen Einkaufsgemeinschaft SEG-MED in Heidelberg verantwortet. Daher wusste ich, dass die Form der Genossenschaft für unsere Vorhaben und Ideen, die breit gedacht waren, geeignet ist. Mit ihr konnten wir auch wirtschaftlich agieren. So kam es, dass wir mit Unterstützung des württembergischen Genossenschaftsverbands und der KV Württemberg 2008 im großen Sitzungssaal der KV die PädNetzS eG gründeten.

Blicken wir aber zuerst auf Ihre beruflichen Stationen.

Nach meinem Physikum an der Medizinischen Fakultät Heidelberg schnupperte ich in verschiedene Fachrichtungen hinein. Die Kinder- und Jugendheilkunde hat mir zugesagt, weshalb ich während meines PJ mein Wahlfach an der Kinderklinik in Ludwigsburg ableistete. Meine AIP Stelle trat ich in der Radiologie der Städtischen Krankenanstalt Esslingen an und hatte nach 18 Monaten die Möglichkeit, dort für meine Facharztausbildung direkt in die Kinderklinik zu wechseln, wo ich bis 1999 blieb, mit einer Unterbrechung von zwei Jahren Erziehungszeit.

Eine längere Auszeit für die Kindererziehung war bei Männern Ende der 90er Jahre eher die große Ausnahme als die Regel.

Meine Frau wollte gerne ihre leitende Position in der Ernährungsberatung der AOK behalten und ich wünschte mir, einen Lebensabschnitt meiner Kinder intensiv zu begleiten. Mein Chef in der Kinderklinik war ein konsequenter Verfechter der Gleichstellung, eine väterliche Erziehungszeit gehörte für ihn im Gegenzug dazu. Ich habe aber, als ich später die Klinik verließ, von ihm erfahren, dass viele seiner männlichen Kollegen kein Verständnis dafür aufgebracht hatten, dass er meine Entscheidung mitgetragen hat.

Wann ließen Sie sich nieder?

Im Anschluss an meine Zeit am Esslinger Klinikum erhielt ich eine Assistenzstelle in der Kinderintensiv in Tübingen und arbeitete auch in der Mukoviszidosebetreuung und Kindergastroenterologie mit. Doch von einem Monat auf den anderen war dort Schluss, ich erhielt keine Vertragsverlängerung mehr. Man bot mir stattdessen eine Oberarztstelle im Klinikum der Stadt Villingen-Schwenningen an. Das war für unsere inzwischen sechsköpfige Familie mit einem gerade erworbenen Haus in Strümpfelbach keine verlockende Aussicht.

Um die Jahrtausendwende bedeutete eine Oberarztstelle in einem kleineren, nicht im Dreischichtbetrieb arbeitenden Krankenhaus, dass man mit Schichtende keinen Dienstschluss würde haben können.

Ich befürchtete das zumindest. So entschied ich 2001, mich niederzulassen und stieg als Juniorpartner in eine Kinder-und Jugendarztpraxis in Esslingen ein, die ich nach dem Ausstieg des Praxisabgebers nach meinen Vorstellungen umgebaut und umstrukturiert habe. In den Jahren danach gab es viel Bewegung in der Praxis. 2006 musste ich mich einem Regressverfahren unterziehen, das mit einem Vergleich eingestellt wurde. 2014 kam meine Kollegin Barbara Stahl in die Praxis, zuerst als Praxispartnerin und inzwischen, auf ihren Wunsch hin, als angestellte Ärztin. 2018 bezogen wir neue Räumlichkeiten, die wir ganz nach unseren Vorstellungen einrichten konnten, sowohl, was die Ausstattung mit diagnostischen Geräten betrifft, die fast alle eine direkte Anbindung an unsere EDV haben, als auch hinsichtlich einer der Orientierung dienenden farbigen Gestaltung der Räume – in Regenbogenfarben.
Im darauffolgenden Jahr übernahmen wir dann den Sitz einer kurzfristig abzugebenden Kinder- und Jugendarztpraxis in Ostfildern, um zu verhindern, dass die Versorgungstelle der dortigen jungen Patient:innen vakant blieb.
Nun sind wir eine Praxis mit einem Inhaber, zwei angestellten Ärzt:innen und einer Weiterbildungsassistentin.

Momentan gibt es für die ambulante Pädiatrie keine Weiterbildungsförderung. Hat das Einfluss auf Sie als Weiterbilder?

Ich bin seit fast 20 Jahren Weiterbilder und betrachte das als eine wichtige Aufgabe, auch oder vor allem im Hinblick auf die Praxisnachfolge. PädNetzS hat sich in den vergangenen Jahren mit dem Aufbau von Weiterbildungsverbünden und der Gründung der Pädnetz Akademie für die Weiterbildung engagiert und auch für die Weiterbildungsförderung. 2016 war eine kleine Delegation von aktiven Mitgliedern, darunter Ulrich Kuhn, Thomas Kauth und Ralph Alexander Gaukler in Berlin und konnte den Ausschussmitgliedern für Gesundheitspolitik im Bundestag darlegen, wie die Entwicklungszahlen verlaufen werden, wenn die Kinderheilkunde keine Weiterbildungsförderung hat. Im ersten Entwurf der Weiterbildungsförderung waren wir nämlich nicht berücksichtigt. Die Veröffentlichungen von Thomas Jansen, der viel zur Bedarfsplanung recherchiert und Probleme offengelegt hat sowie eine Umfrage zur Weiterbildungssituation von mir lieferten die Grundlagen. PädNetzS Info diente uns als Publikationsorgan. Die Frage, die wir an die Politik stellten, war: Haben wir in zehn Jahren noch genug Fachärzt:innen der Kinder-und Jugendmedizin? Wir konnten damals schon belegen, dass dem nicht so sein wird. Die Genossenschaft hat die Vorbereitungen und die Reise finanziert. Mit großem Erfolg, im Oktober 2016 kam die Förderung. Dass wir die Weiterbildungsförderung nun wieder verloren haben, ist ein Debakel.

Was bedeutet das für die Kinder- und Jugendärzt:innen?

Wir stehen nun vor der Entscheidung, die Weiterbildung aus eigener Tasche zu finanzieren oder unsere Weiterbildungsstellen nicht zu besetzen, wodurch das ohnehin schon große Problem der Nachfolge weiter verstärkt wird.

Wie handhaben Sie das in Ihrer Praxis?

Wir haben momentan noch eine von zwei halben Weiterbildungsstellen besetzt, was mit der anderen geschieht, steht noch nicht fest. Als großer Freund der Ausbildung, Fort- und Weiterbildung möchte ich diese eigentlich großzügig unterstützen. Dazu gehört, dass ich meinen Weiterzubildenden, die Seminarbesuche an der Pädnetz Akademie während ihrer Arbeitszeit ermögliche und finanziere. Es kommt uns momentan zugute, dass wir mit der PädNetz Akademie eine gute und vergleichsweise günstige Fortbildung etabliert haben. Dennoch ist es Aufgabe des Bunds, dafür zu sorgen, dass die Finanzierung der Weiterbildung gesichert ist. Das kann nicht allein zu Lasten der niedergelassenen Pädiater:innen gehen.

Sie waren 16 Jahre lang Delegierter in der Bezirksärztekammer Baden Württemberg. Sie haben derzeit bei PädNetzS die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden inne. Was motiviert Sie für diese Ämter?

Mich bewegt, dass ich aktiv zu einer Verbesserung der Bedingungen meines Berufstands beitragen kann. In meiner Funktion als Aufsichtsrat habe ich die Möglichkeit, die Projekte, die wir bei PädNetzS anstoßen, zu fördern und zu unterstützen. Und so, wie wir die Satzung damals verabschiedet haben, haben wir noch viel mehr Möglichkeiten, wir haben noch längst nicht alles ausgereizt. Ich finde das immer noch spannend. Dennoch würde ich mich gerne langsam aus der ersten Reihe zurückziehen und mein Amt an Jüngere abtreten. Meine Aufgaben in der Kammer habe ich bereits abgegeben und ich vermisse sie nicht. Eine sukzessive Verabschiedung aus Ämtern und Arbeit wäre schön.

Was würden Sie dann mit Ihrer gewonnenen Zeit anfangen?

Gemeinsam mit meinem Bruder besitze ich ein Waldstück in Thüringen. Ich genieße es, mit meinem zweitjüngsten Sohn, der Forstwirtschaft studiert hat, die Bäume zu inspizieren und mir den Zusammenhang von Schäden und Ursachen erklären zu lassen.

Waldpflege ist auch eine Beschäftigung, die mit Heilen zu tun hat.

Dass ich den Beruf des Kinderarztes ergriffen habe, hat aus meiner Sicht einen tieferen Beweggrund. Ich habe im Alter von elf Monaten als erstes Kind in Tübingen eine große Verbrühung überlebt. Einige Monate vorher war ein Kind an einem solchen Vorfall gestorben, weshalb eine junge Ärztin im pädiatrischen Zentrum damit beauftragt worden war, sich den weltweiten Umgang mit Verbrühungen anzusehen und hierfür ein Team zu schulen. Dass diese Ärztin bei meiner Einlieferung Dienst hatte, hat mir geholfen, zu überleben. 49 Jahre später habe ich mit Hilfe einer Traumatherapie Zugang zu diesem Erlebnis bekommen und bin heute der Erinnerung mächtig. Dieses „kranke Kind“ in mir, so weiß ich heute, ist mein Motor, mich für kranke Kinder und deren Versorgung einzusetzen. Es ist eine Aufgabe, die mich nach wie vor erfüllt.