Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

5/2025

Umfrage

Versorgungssituation der ambulanten Kinder- und Jugendmedizin in Baden-Württemberg

Umfrage Ergebnisse – Auswertung – Verbesserungsvorschläge

Einleitung

Die ambulante Kinder- und Jugendmedizin sichert in Baden- Württemberg die medizinische Grundversorgung für knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche < 18 Jahre. Es gibt hierfür etwa 750 kinder- und jugendärztliche Versorgungsaufträge in rund 450 Praxen.

In den letzten Jahren sind zunehmende Herausforderungen in der ambulanten Kinder- und Jugendmedizin festzustellen. So kam es beispielsweise durch neu eingeführte Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen sowie Zunahme sozialpädiatrischer Vorstellungsanlässe zu einem höheren Arbeitsaufkommen in den kinder- und jugendärztlichen Praxen. Auch die Versorgung chronisch kranker Kinder im ambulanten Bereich sowie die große Zahl von Migrant:innen führt zu einem erhöhten Personalbedarf.
Zugleich ist es in vielen Regionen schwierig, Nachfolger in der ambulanten Versorgung zu finden.

Die pädiatrischen Netze PädNetzS sowie PaedNetz Südbaden führten 2024 erstmals eine Umfrage unter allen niedergelassenen Kinder- und Jugendärzt:innen in Baden-Württemberg durch um die aktuelle Versorgungslage zu erfassen. Diese Umfrage wurde nun im Jahr 2025 wiederholt und um konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Versorgungssituation ergänzt.

Es handelt sich hierbei um eine Erfassung der subjektiv von Kinder- und Jugendärzt:innen empfundenen Versorgungsrealität.

Diese Umfrage hat somit nicht den Anspruch einer im Detail präzisen Datenerhebung. Sie liefert dennoch ein wertvolles Bild der aktuellen Versorgungslage und zeigt auf, in welchen Regionen und bei welchen Patientengruppen schon heute Probleme in der kinder- und jugendärztlichen Grundversorgung bestehen.

 

Methodik

Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzt:innen (KJÄ) Baden-Württembergs wurden per E-Mail angeschrieben und gebeten, eine online Umfrage (SurveyMonkey) zu beantworten. Diese Umfrage wurde im Think Tank von PädNetzS konzipiert, von der Sektion Forschung der Deutschen Gesellschaft für Ambulante Allgemeine Pädiatrie (DGAAP) geprüft und pilotiert, vom Paednet Südbaden und dem bvkj Baden-Württemberg unterstützt.

Es wurden Fragen zur aktuellen Versorgungssituation von

  • Neugeborenen
  • Neu zugezogenen Kindern und Jugendlichen
  • Chronisch kranken Kindern und Jugendlichen und
  • Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
    gestellt.
  • Zudem wurde gefragt, welche Veränderungen die KJÄ für die Zukunft (die nächsten 5 Jahre) erwarten.

Die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen wurden gebeten, die aktuelle Situation in ihrem lokalen Versorgungsgebiet einzuordnen. Dafür wurden Antwortmöglichkeiten analog zu Schulnoten von 1 bis 6 vorgegeben.

Die Antwortmöglichkeiten lauteten:

Note 1: Das ist in unserem Versorgungsgebiet problemlos (alle Patient:innen werden ohne Probleme adäquat versorgt)

Note 2: Das ist in unserem Versorgungsgebiet gut, kostet aber einige Anstrengung (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings müssen die Patient:innen teilweise bei mehreren Praxen anfragen)

Note 3: Das ist in unserem Versorgungsgebiet noch ausreichend gut (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings bekommen die Patient:innen oft nur mit Mühe einen Termin und müssen häufig mehrere Praxen anfragen)

Note 4: Das ist in unserem Versorgungsgebiet schwierig und klappt nicht mehr vollständig (bis maximal 10% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 5: Das ist in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und führt regelmäßig zu Problemen (11-25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 6: Das ist in unserem Versorgungsgebiet katastrophal
(>25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Die Ergebnisse dieser Umfrage werden auf Ebene der Land- und Stadtkreise in den Farben grün (Note 1) bis rot (Note 6) dargestellt.

Im Jahr 2025 nahmen insgesamt 268 Kolleginnen und Kollegen an der Umfrage teil. (Teilnehmerzahl Vorjahr: 259).

Ergebnisse

Neugeborene
In den meisten Stadt- und Landkreisen können Neugeborene aktuell noch ausreichend gut versorgt werden. Besonders angespannt ist die Situation für Neugeborene wie bereits im Vorjahr in den Städten Pforzheim (Note 5,0; Vorjahr 4,6) und Heilbronn (Note 4,5; Vorjahr 4,8) sowie in den Landkreisen Böblingen (Note 4,6; Vorjahr 4,7) und dem Schwarzwald-Baar-Kreis (Note 5, unverändert zum Vorjahr). In all diesen Kreisen wird die aktuelle Lage somit als unverändert sehr schwierig eingeschätzt („Das ist in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und führt regelmäßig zu Problemen (11-25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)“. (Abb. 1)

Neu zugezogene Kinder
Ungleich schwieriger ist die Lage für Kinder, die neu in einen Stadt- oder Landkreis ziehen. In 39% (17 von 44) der Stadt- und Landkreisen wird die Versorgungssituation von den teilnehmenden KJÄ als mangelhaft (Note 4,5 oder schlechter) eingeschätzt. Besonders düster ist die Lage im Jahr 2025 im Schwarzwald-Baar-Kreis und im Landkreis Calw. Hier gaben die insgesamt 10 teilnehmenden KJÄ übereinstimmend an, dass die aktuelle Lage sehr schwierig oder sogar katastrophal ist (Note jeweils 5,5).
Familien, die eine kinder- und jugendärztliche Versorgung für ihre Kinder wünschen, sollten es somit vermeiden in diese Landkreise (und zahlreiche andere Stadt- und Landkreise) zu ziehen. (Abb.2)

Chronisch kranke Kinder
Problematisch ist auch die Lage für chronisch kranke Kinder mit besonderem Versorgungsbedarf. In 64% (28 von 44) der Stadt- und Landkreise gelingt eine adäquate Versorgung nicht mehr vollständig (Note 3,5 oder schlechter). Schlusslichter in der Versorgung von chronisch kranken Kindern sind im Jahr 2025 der Zollernalbkreis (Note 5), der Landkreis Rottweil (Note 5), der Schwarzwald-Baar-Kreis (Note 5,3) und an letzter Stelle wie im Vorjahr der Main-Tauber-Kreis (Note 6; Vorjahr 5,2). (Abb. 3)

Migrant:innen
Wenig überraschend ist auch die Karte für die Versorgung von minderjährigen Migrant:innen in weiten Teilen rot eingefärbt. Eine Durchschnittsnote von 3,0 oder besser erreicht im Jahr 2025 nur noch die Universitätsstadt Heidelberg (im Vorjahr waren dies zusätzlich noch Freiburg, Tübingen sowie der Kreis Emmendingen). In 43% (19 von 44) der Stadt- und Landkreise wird die Situation als mangelhaft (Note 4,5 oder schlechter) eingeschätzt. Schlusslichter sind hier erneut der Schwarzwald-Baar-Kreis (Note 5,5) sowie der Landkreis Böblingen (Note 5,7). (Abb. 4)

Abbildungen

Neugeborene (Abb.1)
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von
neugeborenen Kindern in Ihrem Versorgungsgebiet?
Werden alle Neugeborenen versorgt und bekommen diese Kinder einen zeitgerechten Termin für die U3?

Neu zugezogene Kinder (Abb.2)
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von neu zugezogenen Patient:innen in Ihrem Versorgungsgebiet? Finden alle anfragenden neu zugezogenen Patient:innen eine:n Kinder- und Jugendärzt:in?

Chronisch kranke Kinder (Abb.3)
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von Patient:innen mit chronischen Erkrankungen in Ihrem Versorgungsgebiet? Werden Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen adäquat versorgt und bekommen diese bei Bedarf zeitgerecht einen Termin bei pädiatrischen Subspezialist:innen (Kinderkardiologie, Neuropädiatrie, etc.)?

Migranten (Abb.4)
Fragestellung: Wie gelingt die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Ihrem Versorgungsgebiet? Finden alle neu nach Deutschland kommenden Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund eine:n Kinder- und Jugendärzt:in?

 

Die Aussicht in die Zukunft (Abb.5)
Fragestellung: Wie schätzen Sie die Entwicklung der Versorgungssituation in den nächsten 5 Jahren ein?

Die Antwortmöglichkeiten für diese Frage lauteten:

Note 1: Das wird in unserem Versorgungsgebiet problemlos möglich sein (alle Patient:innen werden ohne Probleme adäquat versorgt)

Note 2: Das wird in unserem Versorgungsgebiet gut gelingen, aber einige Anstrengung kosten (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings müssen die Patient:innen teilweise bei mehreren Praxen anfragen)

Note 3: Das wird in unserem Versorgungsgebiet noch ausreichend gut gelingen (alle Patient:innen werden adäquat versorgt, allerdings bekommen die Patient:innen oft nur mit Mühe einen Termin und müssen häufig mehrere Praxen anfragen)

Note 4: Das wird in unserem Versorgungsgebiet schwierig und nicht mehr vollständig klappen (bis maximal 10% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 5: Das wird in unserem Versorgungsgebiet sehr schwierig und regelmäßig zu Problemen führen (11–25% der Patient:innen werden nicht adäquat versorgt)

Note 6: Das wird in unserem Versorgungsgebiet katastrophal (>25% der Patient:innen werden nicht aduäqat versorgt werden)

Die Aussicht in die Zukunft

Es wurde eine Frage zur Einschätzung der zukünftigen Entwicklung gestellt „Wie schätzen Sie die Entwicklung der Versorgungssituation in den nächsten 5 Jahren ein?“.  Eine Durchschnittsnote besser als 4,0 wird im Jahr 2025 lediglich in den vier Städten mit medizinischen Fakultäten (Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Ulm) sowie in den Landkreise Tuttlingen erreicht. In allen anderen Gebieten wird von den teilnehmenden KJÄ eine starke Verschlechterung der Versorgungssituation erwartet. (Abb. 5)

Was können wir verändern?

Angesichts der angespannten Versorgungssituation und den schwierigen Zukunftsaussichten brauchen wir Ideen und Taten, die zu konkreten Verbesserungen vor Ort führen können.
In der aktuellen Umfrage hatten wir dazu um eine Meinung zu drei konkreten Verbesserungsideen gebeten.

Vorschläge für Verbesserungen:

 Vorschlag A:
Es sollte ermöglicht werden, dass MFAs nach entsprechender Ausbildung selbständig Impfungen durchführen. Dies sollte unter ärztlicher Leitung geschehen, aber ohne dass einzelne Impfungen durch den Arzt kontrolliert werden müssen. Die PädNetz Akademie könnte begleitend Kurse zur Ausbildung von MFAs anbieten.

Vorschlag B:
Die Ausstellung von Bescheinigungen vor Beginn des Kindergartens sollten beendet werden. Diese Regelung ist nach § 4 Kindergartengesetz vorgegeben. Es müsste also das Kindergartengesetz geändert werden, oder Kinder- und Jugendärzte müssten aktiv die Ausstellung von Bescheinigungen verweigern.

Vorschlag C:
Sozialpädiatrische Schwerpunktpraxen sollten zukünftig in Gebieten mit angespannter Versorgungssituation das Angebot der sozialpädiatrischen Zentren ergänzen.

Die Rückmeldungen und Zustimmung zu diesen Vorschlägen waren unterschiedlich.

Breite Zustimmung erhält der Vorschlag A (selbständige Impfungen durch MFA) mit insgesamt rund 88% Zustimmung, wobei 77% der teilnehmenden KJÄ selbständige Impfungen durch MFA in ihrer Praxis umsetzen würden. Weitere 11% fanden den Vorschlag gut, würden aber in ihrer eigenen Praxis keine selbständigen Impfungen durch MFA umsetzen (Abb. 7).

Vorschlag B stimmen 52% der befragten KJÄ zu mit der Aussage „Ich finde die Idee gut und würde, wenn dies auch die große Mehrheit der anderen Kinder- und Jugendarztpraxen umsetzt, auch aktiv die Ausstellung der Bescheinigung verweigern“. Weitere 33% finden die Idee gut, würden die Ausstellung von Kindergartenbescheinigungen aber nur beenden wenn auch § 4 Kindergartengesetz entsprechend geändert würde. Abgelehnt wird die Idee von 15% der Teilnehmer. In den freien Rückmeldungen wird mehrfach geäußert, dass die Ausstellung von Kindergartenbescheinigungen zwar überflüssig sei, jedoch im Alltag nur wenig Zeit beanspruche und daher in diesem Punkt keine große Arbeitserleichterung erzielbar sei. (Abb. 8)

Die breiteste Zustimmung erhält die Idee C zur Bildung von sozialpädiatrischen Schwerpunktpraxen. 21% der befragten KJÄ gibt an selbst gerne eine solche sozialpädiatrische Schwerpunktpraxis bilden zu wollen. 72% würden Patient:innen in eine solche Schwerpunktpraxis überweisen. Lediglich 7% der teilnehmenden KJÄ fand diese Idee nicht gut. (Abb. 9)

 Relevanz für die Eltern und die Politik

Die aktuelle kinder- und jugendmedizinische Versorgungslage ist ernst und wird sich in den nächsten Jahren weiter verschlechtern.
Die Eltern merken es bei jedem Anruf und bei jedem Besuch in der grundversorgenden Kinder- und Jugendarztpraxis. Die Leidtragenden sind die Kinder, die bereits heute in zahlreichen Stadt- und Landkreisen nicht mehr vollständig adäquat versorgt werden können.

Konsequenz
Es gibt für die schwierige Situation der kinder- und jugendärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg weder eine schnelle noch eine einfache Lösung. Als Kinder- und Jugendärzt:innen wollen wir die Versorgung unserer Patient:innen sicherstellen, im Alltag kommen wir aber immer häufiger an Belastungsgrenzen, wo dies nicht mehr gelingt. Im Rahmen der aktuellen Umfrage wurden neben der Erfassung der aktuellen Versorgungsrealität auch Ideen zu möglichen Verbesserungen der Versorgung vorgestellt. Insbesondere die Ideen zur selbständigen Durchführung von Impfungen durch MFA in den Kinder- und Jugendärztlichen Praxen (unter fachlicher Aufsicht der Ärzte) sowie die Idee zur Bildung sozialpädiatrischer Schwerpunktpraxis findet dabei mehrheitlich Zustimmung bei den befragten KJÄ.
Die Autoren laden ausdrücklich zu Rückmeldungen ein. Diese Rückmeldungen können von den im Landtag vertretenen Parteien, Körperschaften, Organisationen oder auch von Einzelpersonen mit dem Stichwort „Versorgungsatlas Kinder BW 2025“ an das Büro von PädNetzS info@paednetzs.de gesandt werden.

Ausblick
Wir werden diese Umfrage jährlich wiederholen, um Trends in der kinder- und jugendärztlichen Versorgungslage sichtbar zu machen. Zugleich hoffen wir auf Basis dieser Umfrage und mit den genannten konkreten Ideen zur Verbesserung der pädiatrischen Versorgung einen konstruktiven Dialog mit politischen Entscheidungsträgern zu erreichen. Hierüber werden wir in den nächsten Monaten berichten.

Johannes Pfeil, Folkert Fehr

Ergebnisse der Befragung in Tabellenform: Angegeben sind die jeweiligen berichteten Durchschnittsnoten für die aktuelle Versorgungssituation neugeborener Kinder, zugezogener Kinder, Kinder mit chronischer Erkrankung und Kinder mit Migrationshintergrund sowie für die erwartete Veränderung in den nächsten 5 Jahren. In einigen Landkreisen erhielten wir nur von wenigen KJÄ eine Rückmeldung, sodass die Aussagekraft in diesen Regionen
möglicherweise eingeschränkt ist.