Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

1/2025

RECHTSFRAGEN

Praxisabgabe – und was passiert mit dem Praxisteam?

Sie haben sich entschlossen, in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Oder Sie überlegen, noch einmal eine andere Herausforderung anzunehmen. Dann stellt sich jeder von Ihnen früher oder später einmal die Frage, wie es mit dem eigenen (oft jahrelang eingespielten) Praxisteam weitergeht. Andersherum fragt sich natürlich auch der mögliche Nachfolger, welche Rechte und Pflichten er gegenüber den Mitarbeitern des Vorgängers hat.

Auch wenn es den Rahmen dieser Rubrik sprengt, alle Personalfragen umfassend auszuleuchten, möchte ich versuchen, zumindest etwas „Licht ins Dunkel“ zu bringen:


Praxisabgabe = Betriebsübergang? – Was bedeutet das?

Verkauft ein Unternehmer seinen „Betrieb“, gibt also ein Arzt seine Praxis an einen Nachfolger ab, so dürfte das nach allgemeinem Verständnis die bislang im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer eigentlich nicht betreffen. Diese stehen ja schließlich nicht im Eigentum ihres Arbeitgebers und können von diesem nicht einfach „mitverkauft“ werden. Folgerichtig müsste also der Praxisabgeber die von ihm bislang beschäftigten Arbeitnehmer behalten, weil er ja nicht verkaufen kann, was ihm nicht gehört.Aber kann es richtig sein, dass das Praxisteam plötzlich „auf der Straße steht“?

Die Antwort auf diese Frage…

… liegt in § 613a Absatz 1 Satz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) und lautet (natürlich): „Nein“.

„Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.“


Und was passiert mit den einzelnen Arbeitsverträgen?

Eine Praxisabgabe bzw. ein Betriebsübergang führt zu einem gesetzlich angeordneten, automatischen Wechsel des Arbeitgebers, während die Arbeitsverhältnisse im Übrigen unverändert fortbestehen.

Vom sog. „Bestandschutz“ sind alle Personen erfasst, die in einem Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer des Betriebes stehen, also insbesondere auch Auszubildende, leitende Angestellte, in Teilzeit oder befristet Beschäftigte sowie Angestellte, deren Arbeitsverhältnisse vorübergehend ruhen, z.B. während der Elternzeit.
Natürlich ist es nicht verboten und kommt in der Praxis durchaus häufig vor, dass aufgrund eines Inhaberwechsels den betroffenen Arbeitnehmern angepasste Arbeitsverträge zur Unterschrift vorgelegt werden. Nötig wäre es indessen nicht, weil ein Betriebsübergang als solcher (gegen den Willen des Mitarbeiters) zu keiner Änderung des Vertragsinhaltes führen kann und es daher auch „nichts zu unterschreiben“ gibt.

Allerdings sollte der personelle Wechsel des Arbeitgebers auf dem Deckblatt des Arbeitsvertrages oder in einem Nachtrag dazu dokumentiert werden, auch wenn – wie gesagt – letztlich nur wiedergegeben würde, was ohnehin aus dem Gesetz folgt.
Würden Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Übrigen einige Zeit nach dem Betriebsübergang eine Anpassung der arbeitsvertraglichen Regelungen vereinbaren, wären diese im Allgemeinen wirksam, soweit keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesetzlichen Vorschriften ausgehebelt oder umgangen werden sollen („Umgehungsverbot“).

Aus Sicht des Arbeitgebers:
Kann ich trotzdem aus Anlass des Betriebsübergangs Kündigungen aussprechen?

Die Beantwortung dieser Frage fällt – völlig überraschend – eindeutig zweideutig aus (oder um es mit der Lieblingsantwort eines Juristen zu sagen: „Es kommt darauf an.“).

Unwirksam sind Kündigungen nach § 613a Absatz 4 Satz 1 BGB dann, wenn sie wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen werden oder – wie es die Rechtsprechung ausdrückt: „Eine Kündigung ist nur dann […] unwirksam, wenn der Betriebsübergang der „tragende“ Grund für die Kündigung ist.“
Gleich im nächsten Satz heißt es aber ausdrücklich, dass das Recht zur Kündigung aus anderen Gründen unberührt bleibt.

Natürlich kommt es in der Praxis immer auf eine Prüfung des Einzelfalles an. Aber es dürfte bei einer ordentlichen Kündigung aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen wohl eher unwahrscheinlich sein, dass der Betriebsübergang der tragende Grund für die Kündigung ist. Hingegen ließe sich bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung ein solcher Zusammenhang schon leichter herstellen.
Aus Sicht des Arbeitnehmers:
Kann ich verhindern, per Betriebsübergang „verkauft“ zu werden?

Selbstverständlich. Niemand wird gezwungen, gegen seinen Willen einen neuen (unbekannten) Arbeitgeber zu akzeptieren.

Die betroffenen Mitarbeiter sind berechtigt, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arbeitgeber zu widersprechen. Dieser Widerspruch muss nicht begründet werden!

Daher ist jeder Mitarbeiter im Vorfeld der geplanten Praxisabgabe umfassend und in Textform über den Zeitpunkt, den Grund, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs sowie die geplanten Maßnahmen zu informieren (§ 613a Absatz 5 BGB). Arbeitgeber sollten auf diese – zugegeben sehr formalisierte Belehrung – unbedingt achten.

Doch auch wenn der Widerspruch eines Mitarbeiters gegen den Betriebsübergang zunächst einmal zur Folge hätte, dass das Arbeitsverhältnis mit dem alten Arbeitgeber fortbesteht: Dessen Bestand ist trotzdem gefährdet. Im Regelfall wird keine Möglichkeit mehr bestehen, den Arbeitnehmer beim alten Arbeitgeber weiter zu beschäftigen. Schließlich will dieser seine selbständige berufliche Tätigkeit meistens endgültig aufgeben. Daher wird es beim Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeberwechsel zu einer – dann zulässigen und wirksamen – betriebsbedingten Kündigung durch den alten Arbeitgeber kommen.

Mirja Trautmann