Uli Friesinger
ist niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Mühlacker. Er ist Gründungsmitglied von PädNetzS und aktuell Mitglied des Aufsichtsrats.
S.Sch: Herr Friesinger, welche Idee steht für Sie hinter der PädNetzS eG?
U.F.: Aus meiner Sicht ist das der Netzwerkgedanke. Unser ganzes Wissen auf kurzen Wegen zu vernetzen, uns gegenseitig zu beraten und zu unterstützen, dafür eignet sich die Genossenschaft besonders. Auf diesem Weg kam ich auch mit den Personen in Kontakt, die später um Stuttgart herum das PädNetzS gegründet haben: Ich habe mich bei meiner Niederlassung 2004 bei Kolleg:innen umgehört, welche Erfahrungen sie mit Ultraschallgeräten hatten.
Ein zentrales Anliegen der PädNetzS eG ist das Thema „Weiterbildung“. Sie haben sich nach 18 jähriger Tätigkeit dazu entschieden, ihre Kinder- und Jugendarztpraxis in eine moderne Weiterbildungspraxis zu überführen. Seit fast einem Jahr sind Sie nun in neuen Räumen.
Meine Frau arbeitet in der Praxis mit, seitdem unser jüngstes Kind in den Kindergarten gekommen ist. Wir beide haben uns vor etwa drei Jahren überlegt, ob wir unseren Einzelarzt-Familienbetrieb so bis zum Ruhestand weiterführen wollen. Auf lange Sicht hätte das bedeutet, die Praxis auslaufen zu lassen, wie es hier in der Region leider meistens geschieht. Oder ob wir mit einem Umzug in größere Räumlichkeiten nochmals etwas Neues wagen möchten. Die Idee war eine Praxis, in der wir räumlich sowie von der technischen Ausstattung her die Möglichkeit hätten, Kolleg:innen aus- und weiterzubilden, d.h. wir wollten den Gedanken, den wir bei PädNetzS verfolgen, praktisch umsetzen. Außerdem sollte die neue Praxis von der Gestaltung so sein, dass dort auch andere Arbeitsmodelle denkbar wären, sich z. B. in der Zukunft mehrere Kolleg:innen die Praxis teilen könnten oder ähnliches. Vor dem Hintergrund der katastrophalen pädiatrischen Versorgungssituation hier im Enzkreis, war das für uns ein wichtiger Aspekt.
Wie aus einer Umfrage zur Versorgungssituation in der letzten Info hervorgeht, ist es im benachbarten Pforzheim für neu zugezogene Eltern faktisch unmöglich, eine Kinderarztpraxis zu finden.
Das ist ein Missstand, der voraussehbar war und wir von PädNetzS weisen die zuständigen Politiker schon seit Jahren auf diese Entwicklung hin. Meine Frau und ich wollten deshalb einen expliziten Beitrag dazu leisten, dass, wenn wir irgendwann einmal aufhören, die Praxis weiterbesteht und die Versorgung der Kinder und Jugendlichen hier in Mühlacker weiterhin abgedeckt ist.
Wie hat man sich Ihre neue Praxis vorzustellen?
Auf einer Fläche von 230 qm sind um eine zentrale Anmeldung sieben separate Behandlungszimmer gruppiert. Mehrere Ärzt:innen können so nebeneinander arbeiten. Es gibt zwei getrennte Wartebereiche und vier Toiletten, im Sanitärbereich für die Mitarbeiter:innen mit zusätzlicher Dusche, falls jemand mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt. Unsere Mitarbeiterküche ist geräumig genug, dass man im Notfall auch einmal sein Kind mitbringen und hier beschäftigen könnte. Die Räumlichkeiten, die wir mit Unterstützung unseres Vermieters umgebaut haben, sind mit einem modernen Belüftungssystem ausgestattet, mit Tageslicht und neuen von einem Schreiner nach meinen Entwürfen gefertigten Einbauten. Aber wir haben auch ein paar Möbelstücke aus unserer alten Praxis mitnehmen können – Upcycling halten wir für eine wichtige Sache. Ein modernes Computersystem mit T2 Med und digitaler Patientenakte hatten wir bereits in der alten Praxis. Viele andere Geräte wurden neu angeschafft. Wir verfügen über moderne Geräte zur Funktionsdiagnostik, wie ein Farbdoppler-Sonographiegerät mit 3 Sonden, Geräte für EKG, Hörtests, Augenscreening usw.. Außerdem besitzen wir ein eigenes Labor mit einem separaten PC Platz.
Wie wird Ihr Angebot zur Weiterbildung angenommen?
Sehr gut. Momentan arbeiten zwei Weiterbildungsassistentinnen bei uns sowie eine Kollegin im Wiedereinstieg, eine Physician Assistent Studentin und eine Auszubildende. Ich habe jedoch aufgrund des Umzugs meine Weiterbildungsbefugnis verloren, obwohl die neue Praxis nur 27 Häuser vom alten Standort entfernt liegt. Nun warte ich seit über einem Jahr auf die Genehmigung meines Antrags durch die Landesärztekammer. Und ein Antrag auf Weiterbildungsförderung stellt dann die nächste Herausforderung dar, denn wie Sie wissen, gibt es für die ambulante Pädiatrie kein eigenes Förderbudget mehr.
Auf der einen Seite akkuter Versorgungsnotstand – auf der anderen Seite eine bremsende Bürokratie.
Diese Erfahrung ist für uns nicht neu. Vor einigen Jahren hat sich auf eine von uns ausgeschriebene Weiterbildungsstelle eine Ärztin aus Weißrussland beworben. Für uns ein Glücksfall, denn während der Fluchtmigration 2015 konnte sie übersetzen und uns sehr unterstützen. Damit sie die Stelle antreten konnte, mussten wir jedoch gegenüber der Ausländerbehörde des Landratsamts eine Lohnzusage von 36.000 Euro nachweisen, bereits ab dem ersten Jahr, in dem die Kollegin noch gar nicht befähigt war, eigenständig Patient:innen zu versorgen, sondern uns nur über die Schulter schauen durfte. Und im weiteren Verlauf, als die Assistentin drei Monate freigestellt war, um in Nürnberg die Schulung für die Fachsprachprüfung in Chirurgie und Innere u.a. zu durchlaufen, kam außerdem eine Haftungserklärung bis zu einem Betrag von 50.000 Euro hinzu.
Ihre Familie hat dies mitgetragen?
Ja, es war eine gemeinsam mit unseren inzwischen erwachsenen Kindern getroffene Entscheidung, nicht nur gewinnorientiert zu arbeiten, sondern aus diesem christlich-sozialen und demokratischen Kontext heraus, in dem wir aufgewachsen sind und leben, auch Verantwortung zu übernehmen.
Hat der Landkreis dadurch eine Kinder- und Jugendärztin gewonnen?
Leider nicht. Die Kollegin, zu der wir heute noch einen guten Kontakt pflegen, ist inzwischen Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in Kleve. In Norddeutschland scheinen die bürokratischen Hürden geringer zu sein. Bei uns hier hat man noch nicht verstanden, dass wir die Versorgung nicht mehr alleine bewältigen können.
Sie haben die Facharzt Zusatzqualifikation Allergologe und Pneumologe
Nach meinem Studium in Mainz und meinem PJ in der Pädiatrie der Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden war ich 10 Jahre in der Kinderklinik des Städtischen Klinikums Pforzheim (heute Helios Klinikum) tätig, darunter zwei Jahre in der Intensivmedizin, die damals als High Tech Intensivmedizin neu eingerichtet wurde. In dieser Zeit habe ich die Kenntnisse und Erfahrungen erworben. Die Facharztanerkennung zum Kinderpneumologen und Allergologen erhielt ich dann nach meiner Niederlassung.
Sie scheinen in der Region sehr verwurzelt zu sein.
Wir kommen beide aus Baden-Württemberg, meine Frau stammt aus der Heilbronner Gegend. Während des Studiums waren wir bereits Eltern von drei Kindern und unser viertes kam während der Ausbildung. Es war ein Vorteil, dass die Großeltern in der Nähe waren, auch später, als ich 2005 den Sitz in Mühlacker übernommen habe. Ich bin inzwischen in den Gemeinderat von Niefern-Öschelbronn gewählt worden, eine kleine autarke Gemeinde, die übrigens noch schuldenfrei ist.
Da spielt der Netzwerkgedanke wieder eine Rolle …
. .. und auch das genossenschaftliche Denken, das ich bei PädNetzS gelernt habe. Uns ist es als Gemeinde gelungen, das Areal der „Alten Schmiede“, einem Kulturdenkmal bei uns im Ort, zu erwerben und diese durch eine Vereinsgründung zu erhalten.
Bedeutet dieses Engagement einen Ausgleich zum Praxisalltag?
Meine Entscheidungsfindung für den Arztberuf entsprach nicht dem gängigen Werdegang. ich hatte kein Einser-Abitur, sondern bin aufgrund meines Zivildiensts und über den Medizinertest zum Studium gekommen. Ich habe einen Blick für das Logische und für Zahlen. Und auch das Praktische liegt mir. Meine andere Wahl wäre ein Bildhauerstudium gewesen, ich hatte mich auch an der Uni München für Holzbildhauerei beworben.
Und widmen Sie sich Ihrem künstlerischen Interesse noch?
Ich arbeite noch gerne mit Holz. Die Skulptur im Eingangsbereich stammt von mir, sie entstand aus einem Kirschbaum meines Urgroßvaters. Und das große Regal in einem der Behandlungsräume habe ich entworfen und selbst angefertigt.
Holz als Material haben Sie auch bei der Praxiseinrichtung verwendet. Die Räume erhalten dadurch eine sehr warme Atmosphäre.
Ich wollte hier einen Ort schaffen, an dem sich ein Team wohlfühlt und gerne arbeitet. Natürlich könnte ich mein Einkommen im Alleingang, etwa mit Funktionsdiagnostik, erwirtschaften. Mir schwebt aber etwas anderes vor. Deshalb haben wir dieses Projekt hier realisiert – nicht für uns – sondern damit wir den Leuten eine Perspektive bieten können. Sowohl unseren jungen Kolleg:innen als auch den Eltern, die für die medizinische Grundversorgung ihrer Kinder Kinder- und Jugendärzt:innen brauchen.