Nach der der Schließung der Häuslichen Kinderkrankenpflege (HKP) in Stuttgart haben wir uns in der Redaktion die Frage gestellt, welche Hilfeleistungen es in Baden-Württemberg für Familien mit einem schwer kranken oder schwer behinderten Kind gibt. Wohin können Kinder- und Jugendarztpraxen Familien verweisen, wenn Bedarf nach Beratung und Unterstützung besteht? In dieser Ausgabe der PädNetzS Info stellen sich drei Organisationen mit unterschiedlichen Angeboten vor.
ARCHE Intensivkinder –
Intermediate Care für intensivpflegebedürftige Kinder
Eltern von komplex erkrankten Kindern sind dankbar, dass ihrem Kind auf der Kinderintensivstation akut geholfen werden kann. Was aber, wenn die Kinder längerfristig intensivmedizinische Versorgung benötigen, tracheotomiert und/oder beatmet sind?
An eine Entlassung nach Hause ist eventuell noch nicht zu denken, da das Kind noch ein intensives medizinisches Setting braucht: Vor Ort sollten Sonographien, EKG, Blutbilder, Blutgasanalysen und Infusionen möglich sein, auch das Ausschleichen von Sedativa muss vielleicht noch weitergeführt werden. Die 24stündige Anwesenheit eines Pädiaters ist vielleicht nicht mehr erforderlich, aber dennoch eine engmaschige kinderärztliche Versorgung mit Rufbereitschaft durch einen Pädiater mit Intensiverfahrung sehr wichtig.
In diesen Fällen ist an eine Anschlussversorgung in der ARCHE IntensivKinder zu denken. Neben den o.g. medizinischen Untersuchungen stehen hier in der intensivmedizinischen Behandlungspflege für Kinder jegliche Beatmungsmodi, Schmerz- und Sedierungsformen und Ernährungsvarianten zur Verfügung. Eine Kinderärztin ist im Rahmen einer Institutsambulanz bei der ARCHE angestellt. Sie visitiert die Kinder regelmäßig, mit ambulant tätigen Kinderärzten ist eine tägliche Rufbereitschaft sichergestellt. Darüber hinaus ist ein Pädiatrieteam, das sich aus erfahrenen Kinderkrankenpflegefachkräften mit jahrelanger Berufserfahrung zusammensetzt, in 24stündiger Rufbereitschaft und kann jederzeit intervenieren. Ein Team von erfahrenen Konsiliarärzten und Anästhesisten, Fachpflegekräften, Therapeuten und Pädagogen legt interdisziplinär die zu erreichenden Ziele für jedes einzelne Kind fest, Weaning und Beatmungsmanagement inbegriffen. Notfallmäßig können mehrere Intensivstationen in nächster Nähe angefahren werden, beispielsweise Tübingen und Reutlingen jeweils in ca. 10 Minuten.
Was aber für Eltern auch wichtig ist:
Ihr Kind darf in ruhiger, behüteter Atmosphäre Kraft schöpfen.
Es können sich erst dann Ressourcen und Potentiale der Kinder voll entfalten, wenn Ruhe einkehrt vor Alarmen am Nachbarbett, Reanimationshektik und Dauerbeleuchtung. Ein Elternteil kann das Kind auch längerfristig begleiten, sofern Platz in der Elternwohnung ist.
Mit einem speziellen, auf das Kind individuell zugeschnittenem Einlernkonzept werden die Eltern mit der (intensiv)pflegerischen Versorgung des Kindes vertraut gemacht. Das hat sich bewährt, denn die ambulante Anschlussversorgung durch einen Pflegedienst kann dadurch besser gewährleistet werden, da weniger Stunden benötigt werden. Die Überleitung nach Hause wird zusätzlich begleitet durch eine Sozialbetreuerin, die längere Zeit als Kinderkrankenpflegefachkraft in der Klinik gearbeitet hat und sich in allen Belangen rund um das Kind und die Familie auskennt. Auch medizinisch aufwändige Kinder, die vom Jugendamt in Obhut genommen werden mussten, werden in der ARCHE bestens versorgt mit
Einbindung der Familie, soweit möglich.
Die ARCHE IntensivKinder setzt seit 2007 durch ihre vielfältige Erfahrung in der pädiatrischen außerklinischen Intensivpflege die Standards für eine hochwertige medizinische intensivpflegerische Versorgung von tracheotomierten und/oder beatmeten Säuglingen, Kleinkindern und Kindern bis zum Grundschulalter. Das Leitbild der ARCHE orientiert sich seit Gründung am Wahlspruch „Liebe und Hightech“. Bei entsprechendem Bedarf sollte nicht gezögert werden, sich mit der ARCHE in Verbindung zu setzen.
Sabine Vaihinger
(Chief Executive Officer ARCHE IntensivKinder)
EUTB® – Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung
Die EUTB® wird auf Grundlage des §32 Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Es gibt ca. 500 EUTB® Beratungsstellen in ganz Deutschland.
Laut dem Motto „Eine für Alle“ stehen die EUTB®-Stellen für Menschen mit allen Arten der Behinderung offen. Ziel der EUTB® ist die Stärkung (Empowerment) der Selbstbestimmung von Behinderten und von Behinderung bedrohter Menschen und chronisch erkrankten Menschen, sowie derer Angehörigen. Sie soll den Betroffenen helfen, ihren Weg durch die verschiedenen Leistungsangebote zu finden. Die EUTB® -Beratungsstellen sind neutral und kostenlos und sie unterstützen vor der Antragsstellung. Rechtsberatung darf die EUTB® nicht leisten.
EUTB® – was ist das?
Bei diesem etwas ungewöhnlichen Namen werden die Berater/innen auch nach 6 ½ Jahren häufig noch gefragt:
„Was bedeutet der Name, was macht eine EUTB®?“
„E“ steht für ein ergänzendes Angebot zu bestehenden Beratungsstellen.
„U“ steht für, unabhängig von denjenigen, die eine Unterstützungsleistung finanzieren oder durchführen.
„T“ steht für Teilhabe und das Wort umfasst das Wahlrecht für alle Lebensbereiche. Die Themen reichen dabei von Inklusion in Kindergarten und Schule, bis hin zu Assistenzen und Unterstützungsleistungen bei Ausbildungen, Weiterbildungen und im Arbeitsleben. Weitere wichtige Bereiche sind der Wunsch an Freizeitaktivitäten teilzunehmen oder auch die Unterstützung beim selbstständigen Wohnen. Auch Themen rund um den Schwerbehindertenausweis oder die Erwerbsminderungsrente werden behandelt. Die Berater/innen überlegen gemeinsam mit den Ratsuchenden, welche Themen für die Betroffenen wichtig sind und welche Lösungsmöglichkeiten es geben könnte.
„B“ steht für Beratung:
Das Beratungsangebot ist kostenfrei, neutral und barrierefrei.
Für Ratsuchende mit Mobilitätseinschränkungen wird auch aufsuchende Beratung angeboten.
Christine Blank-Jost
EUTB Kirchheim/Teck
Weitere Informationen zu dem EUTB® -Beratungsangebot und die EUTB® Beratungsstellen finden Sie bei: www.teilhabeberatung.de
Wegbegleitung für Familien mit einem schwer kranken Kind
Die Landesstelle Baden-Württemberg am Hospiz Stuttgart ist zentrale Anlaufstelle und Hilfe für betroffene Familien und Fachkräfte. Eine lebensverkürzende Erkrankung oder schwere Behinderung eines Kindes beeinflusst das Leben einer Familie nachhaltig. Ohne Unterstützung von außen ist der Alltag langfristig nicht zu stemmen. Das besondere Angebot der Landesstelle begleitet Familien ab der Diagnose und hilft dabei, Orientierung im Dschungel an Angeboten zu finden.
Der Bedarf an Unterstützung ist groß
Das Leben mit einem schwer kranken oder schwerstbehinderten Kind ist ohne Entlastung von außen langfristig kaum zu bewältigen. Jede Familie ist einzigartig und individuell. Die Unterstützungsbedarfe sind entsprechend unterschiedlich und vielfältig. Nur ein interdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz mit verschiedenen stationären und ambulanten Angeboten kann den herausfordernden Situationen der Familien auf Dauer gerecht werden. Orientiert an den komplexen Bedarfen dieser Familien sind in den vergangenen Jahren viele Angebote entstanden. Diese positive Entwicklung hat auch eine Schattenseite: Die betroffenen Familien fühlen sich häufig in einem verwirrenden und undurchsichtigen Dschungel an Angeboten verloren. Und immer wieder rutschen Familien durch das Versorgungsnetz. Nicht alle werden zeitnah durch entlastende und unterstützende Angebote in ihrem Familienalltag erreicht und kommen dadurch regelmäßig an ihre (Über-) Belastungsgrenze.
Ein einzigartiges Angebot – Landesstelle BW Wegbegleiter für betroffene Familien
Neben der Planung des ersten stationären Kinder- und Jugendhospizes in Baden-Württemberg (Eröffnung November 2017) entstand am Hospiz Stuttgart eine weitere Idee: eine zentrale Anlaufstelle für alle betroffenen Familien in Baden-Württemberg. Diese ‚Landesstelle‘ soll dazu beitragen, dass Familien so früh wie möglich nach Diagnosestellung darüber informiert werden, welche Unterstützungs- und Entlastungsangebote landesweit zur Verfügung stehen, was für ihre individuelle Situation hilfreich sein kann und wo sie diese Hilfe bekommen können. Betroffene Familien und begleitende Fachkräfte können sich an diese zentrale Stelle wenden und sich kostenfrei informieren und beraten lassen. Die Robert Bosch Stiftung stellte die finanziellen Mittel für die Aufbauphase zur Verfügung. Im Januar 2017 hat die „Landesstelle Baden-Württemberg am Hospiz Stuttgart – Wegbegleiter für Familien mit einem schwer kranken Kind“ ihre Arbeit aufgenommen. Die Trägerschaft übernimmt der Evangelische Kirchenkreis Stuttgart. Die Stelle wird mittlerweile aus Spenden finanziert. Nach nunmehr sieben Jahren ist die Stelle ein fester Bestandteil und geschätzter Kooperationspartner in der Kinder- und Jugendhospizlandschaft in Baden-Württemberg und über die Grenzen hinaus.
Konkrete Unterstützung in herausfordernden Situationen
Familien oder Fachkräfte, die sich mit ihren Fragen an die
Landesstelle BW – Wegbegleiter für Familien wenden, sind meist mit herausfordernden Situationen konfrontiert.
»Unser jüngster Sohn (16 J.) hat eine Schwerstmehrfachbehinderung. Bisher haben wir als Paar alles alleine gemacht. Nun hat unsere älteste Tochter eine schwere Depression entwickelt. Wir merken, dass unser System zusammenbricht.«
(betroffener Vater)
»Unsere Tochter ist schwer an Krebs erkrankt (12 J.). Ich mache mir Sorgen um unsere Jüngste (11 J.). Sie entwickelt starke Ängste vor Krankheiten. Ich habe keine Kraft mich um eine weitere „Baustelle“ zu kümmern.« (betroffene Mutter)
»Ich suche psychologische Unterstützung für ein junges Paar nach einer palliativen Geburt. Wo kann sich das Paar in seiner Region hinwenden?«
(Neonatologe einer Kinderklinik)
»Ich bin alleinerziehend mit 3 Kindern. Meine Tochter (5 J.) ist schwer behindert. Ich bin nun selbst an Krebs erkrankt und muss bald operiert werden. Ich finde keine Kurzzeitunterbringung für meine Tochter. Ich weiß nicht mehr weiter!« (betroffene Mutter)
»Ich habe morgen einen Erstbesuch bei einer Familie. Bei dem Jungen (3 J.) ist eine Muskeldystrophie diagnostiziert worden. Welche Unterstützungsangebote kann ich der Familie zusätzlich anbieten?«
(Heilpädagogische Fachkraft / Frühe Hilfen)
Am Telefon oder per E-Mail wird die individuelle Situation betrachtet. Gemeinsam werden mögliche Entlastungsangebote besprochen und ausgewählt. Die Mitarbeiterinnen der Landesstelle recherchieren im Anschluss an das Gespräch nach passenden Angeboten vor Ort und/oder überregional und stellen den Kontakt zwischen den Familien und den Anbietern her.
Der Podcast Wegbegleiter – Wir geben Familien eine Stimme
In unserem Podcast laden wir Interviewgäste ins offene Gespräch ein. Zu Gast sind Eltern und Geschwister von Kindern mit einer schweren Erkrankung oder Behinderung sowie Themenexpert*innen und Fachkräfte aus dem Pflege-, Hospiz- und Palliative Care Bereich. Unser Podcast ist bunt, berührend, inspirierend und voller Impulse, Infos und Angeboten. Hören Sie rein auf Spotify, iTunes und vielen Podcast-Apps.
Der Weg zu uns
Sie kennen eine Familie mit einem schwer kranken Kind?
Informieren Sie die Familie über unser kostenfreies Angebot.
Haben Sie Fragen zu unserer Arbeit und/oder möchten sich mit uns vernetzen? Wir freuen uns mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Möchten Sie Flyer von uns? Schreiben Sie uns gerne eine Nachricht.
Kontakt zu uns:
www.landesstelle-bw-wegbegleiter.de
info@landesstelle-bw-wegbegleiter.de
Telefon: (07 11) 2 37 41-8 77
Anna Lammer
(Leitung Landesstelle Baden-Württemberg am Hospiz Stuttgart – Wegbegleiter für Familien mit einem schwer kranken Kind)