Mit dem Versorgungsstart des Pädiatrie-Moduls im Jahr 2014 wurde ein bundesweit einmaliger Schritt zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen vollbracht. Und nach zehn Jahren ist es ein unentbehrlicher Bestandteil des HZV-Vertrags von AOK Baden-Württemberg, MEDI, des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands und der BVKJ-Service GmbH.
Beim BVKJ-Landesverband haben wir nachgefragt bei
Dr. Roland Fressle, Dr. Ralph Alexander Gaukler und
Dr. Folkert Fehr. (v.l.n.r.)
Pädiatrie-Modul vs. Regelversorgung – wo sehen Sie wichtige Unterschiede?
Dr. Fressle: Der Vollversorgungsvertrag steht für eine qualitativ hochwertige Versorgung mit innovativen Leistungen und deutlich weniger Bürokratie. Das pauschalisierte Vergütungssystem in Verbindung mit Einzelleistungen ist sehr übersichtlich und einfach und gibt Planungssicherheit durch eine höhere Vergütung mit festen Preisen
ohne Mengenbegrenzung. Der Fallwert lag 2023 im Durchschnitt bei ca. 100 Euro deutlich über dem der Regelversorgung.
Dr. Fehr: Die umfassende Verbesserung der Versorgung, die besseren Arbeitsbedingungen sowie das verbindliche Einschreibesystem waren ein Paradigmenwechsel, der nicht in die Regelversorgung übertragbar ist. Möglich war das durch die enge Zusammenarbeit mit unseren Vertragspartnern. Statt zentraler Vorgaben haben wir den Vertrag gemeinsam auf die regionalen Bedürfnisse zugeschnitten.
Dr. Gaukler: Jedes Jahr steigen die Teilnehmerzahlen. Ende 2023 waren über 241 Tsd. Kinder und Jugendliche eingeschrieben. Und die Ärztezahl liegt stabil bei rund 400 zuzüglich über 260 Angestellte, Praxispartner und Sicherstellungsassistenten. Ein wichtiger Unterschied zur Regelversorgung sind auch die obligatorischen Qualitätszirkel, um die Versorgung gezielt und strukturiert zu verbessern.
Welche Leistungen kommen bei Ihren Patienten besonders gut an?
Dr. Fehr: Wir haben mehr Zeit, um speziell unsere jungen Patienten gründlich zu untersuchen und auf die Fragen der Eltern ausführlich einzugehen. Zu den Besonderheiten gehört nach wie vor die Erweiterung der gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen U10, U11 und J2 gemäß dem Paed.Plus-Vorsorgeheft, die 2023 über 18.000-mal durchgeführt wurden. Hochgeschätzt wird auch die von der AOK in ihrer Satzung aufgenommene Kostenübernahme für OTC-Arzneimittel bei 12- bis 18-Jährigen wie etwa Antiallergika. Das ist vor allem bei Eltern und Familien mit geringerem Einkommen wichtig, deren Kinder ohne diese Unterstützung sonst eventuell nicht ausreichend versorgt würden.
Dr. Gaukler: Ein Highlight sind die exklusiven Mehrleistungen im zweiten und dritten Lebensjahr. Dazu zählen das Amblyopie-Screening und die Tympanometrie.
Ein Schwerpunkt liegt auch in der Behandlung chronisch kranker Kinder und Jugendlicher. Um auf ihre Bedürfnisse deutlich intensiver eingehen zu können, gibt es die kontaktabhängige Pauschale P3, die pro Quartal mit 25 Euro vergütet ist. Ein wichtiges Thema sind die zunehmenden Allergiebeschwerden. Die besser bezahlten Hyposensibilisierungen wurden 2023 über 14.000-mal durchgeführt.
Das Impfen ist vertraglich einfach und STIKO-konform geregelt. Wichtig ist die 2020 ergänzte Leistungsposition ‚Besondere Impfberatung‘ für Gesprächspartner, die dem Impfen besonders kritisch oder ablehnend gegenüberstehen.
Dr. Fressle: Das sozialpädiatrische Spektrum ist sehr gut abgebildet, was speziell für Patienten aus sozialen Brennpunkten enorm wichtig ist. Der Vertrag erlaubt ausführliche Gespräche mit Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern und auch den direkten Kontakt mit Kindertagesstätten, Heilmittelerbringern oder Wohngruppen. In der täglichen Praxis ist auch der Soziale Dienst der AOK eine wichtige Unterstützung. Bei Störungen wie Angstzuständen können wir seit 2019 auch Kollegen einbeziehen, die am Modul Kinder- und Jugendpsychiatrie des AOK-Facharztprogramms teilnehmen. Vorteile sind etwa schnellere Terminvergaben, Zeit für die notwendige multi-dimensionale Diagnostik und Therapie sowie die verstärkte Einbeziehung sozialpsychiatrischer Fachkräfte. Leider ist die Teilnehmerzahl noch nicht sehr hoch.
Was hat sich in den letzten Jahren im Vertrag noch getan?
Dr. Gaukler: Viele Pandemie-Sonderregelungen zu den Selektivverträgen haben sich bewährt. In puncto Fernbehandlung per Telefon oder Video wurden deshalb dauerhafte Regelungen vereinbart. Die Fernbehandlung erhält so einen höheren Stellenwert und hilft auch vermeidbare Praxisbesuche zu reduzieren. Wichtig ist, dass die Tätigkeiten des Praxisteams berücksichtigt und delegierbare Aufgaben flexibel zu erbringen sind. Die Regelungen sind ein für die Versorgung zukunftsweisender Weg und heben sich deutlich von der Regelversorgung ab.
Dr. Fressle: Wichtig war die Einführung der Sozialpädiatrie- und Präventions-Assistentinnen (SOPASS®). Sie können die Ärzte unter anderem bei Beratungs- und Präventionsleistungen wirkungsvoll entlasten und das Berufsbild der MFA wird deutlich aufgewertet. Derzeit sind 31 SOPASS® im Einsatz. Seit 2023 wird der Einsatz einer SOPASS® mit einem erhöhten Zuschlag von zehn Euro pro Quartal honoriert. Das ist ein zusätzlicher Anreiz, um in diese wichtige Fortbildung zu investieren. Seit 2022 können auch Ärztinnen oder Ärzte in Weiterbildung an dem Programm VerbundweiterbildungPlus der Uni Heidelberg teilnehmen. Bislang waren es 31. Um die Sicherstellung der ambulanten kinder- und jugendärztlichen Versorgung zu fördern, wird deren Beschäftigung zusätzlich honoriert.
Dr. Fehr: Kinder sind von Umwelteinflüssen und damit auch von Klimaveränderungen stärker betroffen und bedürfen eines besonderen Schutzes. Seit Anfang 2024 wurde daher eine strukturierte klimaresiliente Beratung und Versorgung als neue Leistung in den Vertrag aufgenommen. Voraussetzung ist der Nachweis einer Schulung mit Schwerpunkt Klima und Gesundheit durch eine Ärztin oder und Arzt und eines Teammitglieds. Letzteres muss mit einem Stundenumfang von mind. 19h pro Woche angestellt sein. Organisation und Aufgabenaufteilung bleiben den Praxen überlassen. 8 Euro wird auf die jeweilige Abrechnungsziffer der Untersuchungen U6 bis J2 aufgeschlagen.
Wie sieht Ihr Fazit nach 10 Jahren aus und gibt es noch Verbesserungsbedarf?
Dr. Fressle: Ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung des Vertrags von dem Patientinnen und Patienten, die Praxen und die Krankenkasse profitieren. Wir setzen mit den Vertragspartnern weiter auf die wichtige ambulante Versorgungssäule Pädiatrie-Modul. Ich bin überzeugt, dass wir auch zukünftig für den wachsenden Versorgungsbedarf neue Lösungen finden, auch wenn die finanzielle Luft im Gesundheitswesen sehr viel dünner geworden ist und in 10 Jahren bekanntlich rund die Hälfte der heute Arbeitenden im Ruhestand sein wird.
Dr. Fehr: Mit dem Pädiatrie-Modul im HZV-Vertrag haben wir für hausärztlich ausgerichtete Kinder- und Jugendärzte eine echte Erfolgsstory geschrieben und das Profil der pädiatrischen Versorgung geschärft. Der höhere Aufwand wird angemessen honoriert und die Finanzierung einer Kinder- und Jugendarztpraxis gesichert. So wurde beispielsweise für die Behandlung von Kindern im ersten Lebensjahr zum Jahresbeginn die kontaktabhängige Pauschale von 50 auf 75 Euro erhöht. Und Praxen mit einem hohen Anteil an HZV-Patienten steigern ihren Wert und sind attraktiver für den Ärztenachwuchs.
Dr. Gaukler: Der gesamte Vertrag hat sich bislang sehr gut bewährt. Und wir sind froh, dass wir ihn haben. Optimierbar ist noch der Gebrauch der Einzelleistung ‚Transition’, denn sie ermöglicht einen nahtlosen Übergang von chronisch kranken jungen Erwachsenen von der pädiatrischen in die allgemeinärztliche Versorgung. Die seit 10 Jahren kontinuierlich steigenden Teilnehmerzahlen sowie die Zufriedenheit der Kolleginnen und Kollegen unterstreichen, dass das Pädiatrie-Modul längst eine bessere und unverzichtbare Alternative zur Regelversorgung ist.
Das Interview führte Michael Patzer
Das HZV-Pädiatrie-Modul
in Zahlen / 2023
Anzahl der teilnehmenden Kinder- und
Jugendärzte: stabil bei 400
Angestellte, nicht eingeschriebene Praxispartner und Sicherstellungsassistenten: 263
Eingeschriebene Kinder und Jugendliche:
241 Tausend (6,5 Prozent mehr als 2022)
Vergütungssumme 2023: 49,88 Mio Euro
(6,4 Prozent mehr als 2022)
Durchschnittsfallwert im Vergleich zur RV:
100 vs. 76 Euro
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg
„Ein leistungsfähiges und wirtschaftliches Gesundheitssystem benötigt mehr denn je eine starke hausärztliche oder primärärztliche Steuerung. Das Pädiatrie-Modul ist bundesweit bisher der einzige pädiatrische hausarztzentrierte Vertrag auf Vollversorgungbasis. Es umfasst einen erweiterten Leistungskatalog, der vor allem die Behandlungsqualität in den Fokus rückt. Die seit dem Start kontinuierlich positive Teilnehmerentwicklung bestätigt uns und die ärztlichen Partner. Gemeinsam haben wir eine flächendeckend bessere Versorgung für junge Patientinnen und Patienten etabliert.“
Dr. Norbert Smetak, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland
„Der Vertrag ist wie alle unsere Selektivverträge sowohl im Hinblick auf die ambulante ärztliche Versorgung als auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten für die teilnehmenden Ärzte und Psychotherapeuten sehr interessant. Gut an kommt auch die von der AOK in ihrer Satzung aufgenommene Kostenübernahme für OTC-Arzneimittel bei 12- bis 18-Jährigen wie etwa Antiallergika. Das ist vor allem bei Eltern und Familien mit geringerem Einkommen wichtig.“
Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. Susanne Bublitz, Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg
„Ein wichtiger Beitrag ist auch die Einzelleistung ‚Transition‘, weil sie bei chronisch Kranken einen nahtlosen Übergang von der pädiatrischen in die allgemeinärztliche Versorgung sicherstellt. Und wie im HZV-Vertrag wurden auch in puncto Fernbehandlung per Telefon oder Video dauerhafte Vergütungsregelungen vereinbart. Wichtig ist, dass die Tätigkeiten des Praxisteams berücksichtigt und delegierbare Aufgaben flexibel zu erbringen sind. Das ist ein zukunftsweisender Weg, der sich deutlich von der Regelversorgung abhebt.“