Seit vielen Monaten gibt es verstärkte öffentliche Proteste von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in ganz Deutschland.
Zuletzt trafen sich am 21.06. mehrere tausend Ärztinnen und Ärzte mit ihren Praxisteams auf dem Schlossplatz in Stuttgart, um einen lautstarken Appell „Jetzt reicht’s!“ an die Politik zu richten.
Im Rems-Murr-Kreis blieben am 27.06. alle Kinder- und Jugendarztpraxen geschlossen, um in diesen Appell einzustimmen. Dort waren in den Monaten zuvor bereits Briefe zum Versand an alle zuständigen politischen Instanzen verteilt worden, die die Eltern der Patienten dieser Praxen verschicken sollten. Auf die vielen hundert versandten Briefe gab es einige völlig nichtssagende, inhaltsleere Antworten oder – zumeist – gar keine Reaktionen.
Auch von Herrn Lauterbach gab es zu den zahllosen bundesweiten Protesten wegen der immer katastrophaleren Missstände in den Praxen keinerlei Reaktion! Das ist unglaublich und zeugt von unendlicher Missachtung der Leistungen des ambulanten Gesundheitswesens!
Diese Haltung äußerte sich ja bereits darin, dass für die Helden der Corona-Pandemie von Balkonen geklatscht und staatliche Prämien verteilt wurden. Die zahllosen MFAs der Arztpraxen blieben trotz ihrer Leistungen, die unendlichen Patientenströme dieser Zeit zu managen und deren oft extrem aggressive Übergriffigkeit auszuhalten, dabei völlig unerwähnt und unberücksichtigt.
Die Politik will ganz offensichtlich die derzeitige ambulante ärztliche Versorgung mit all ihren Praxen und deren hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern austrocknen und abwickeln.
Ein kinder- und jugendärztlicher Kollege hat dies vor einige Monaten mir gegenüber so formuliert: „Offensichtlich will auf politischer Ebene niemand mehr, dass wir in unseren Praxen ärztlich tätig werden.“ Woraufhin er kurz darauf seine Praxis ohne Nachfolger seine Praxis abschloss und in den Ruhestand ging.
Die Versorgung der Patienten soll dann durch „Gesundheitskioske“ aufrecht erhalten werden. Mir drängt sich dabei immer das Bild eines „Büdchens“ an der Ecke auf, durch dessen Schiebefenster Bier, Zigaretten, Zeitschriften und heiße Würstchen verkauft werden, wenn der lokale Supermarkt geschlossen wurde. Die Qualität der Versorgung wird wohl im Verhältnis ähnlich sein.
Offen gesagt wird dies selbstverständlich nicht, da unsere Patienten das bisherige System zu schätzen wissen und gerne in Anspruch nehmen. Offenheit würde hier ja politischen Selbstmord bedeuten. Unsere derzeitige Regierung bevormundet ja aber ohnehin gerne ohne dies offen aussprechen zu wollen.
Was sind nun die Mittel der Politik, um dies bewusst herbeizuführen oder billigend in Kauf zu nehmen?
Viele Proteste von ärztlicher Seite verzichten bewusst auf eine Erwähnung der finanziellen Drangsalierungen unserer Praxen, da schon bei Erwähnung des Wortes „Geld“ sich sowohl Politik als auch Presse erleichtert zurücklehnen, da sie nun unmittelbar der traditionsreiche Formel folgen können: Sozialneid gegen Ärzte schüren – „Die wollen nur mehr Geld, obwohl sie schon so viel haben“ etc. etc.
Inhalte kann man dann getrost ignorieren und unter den Tisch fallen lassen. Sonst müsste man sich ja damit beschäftigen!
Ich werde bewusst nicht diesem Weg folgen. Denn selbstverständlich geht es uns nicht darum, noch mehr (eigentlich unverdientes) Geld auf unseren imaginären immer höheren Geldberg zu schaufeln, sondern um die Versorgung unserer Patienten. Nur wegen diesen haben wir unseren Beruf ergriffen und üben ihn trotz aller Widrigkeiten weiter aus.
Es ist aber ganz einfach: Wenn wir unsere Praxen nicht mehr halten können, können dort auch keine Patienten mehr versorgt werden.
Das eklatanteste Beispiel aus einer langen Reihe ist die nun schon Jahrzehnte andauernd Blockade der GOÄ. Herr Lauterbach weigert sich schlicht mit den denkbar fadenscheinigsten Ausreden die reformierte und 2022 einem Praxistest unterzogen neue Version in Kraft zu setzen.
Dabei stammt die derzeitig sich in Kraft befindliche GOÄ noch aus dem letzten Jahrtausend (genauer aus dem Jahr 1996). Damals wurde der Punktwert etwas angepasst – die Inhalte sind noch älter.
Nicht nur, dass wir die Medizin des 21. Jahrhunderts mit der Beschreibung medizinischer Verfahren aus dem letzten Jahrhundert abrechnen sollen – wir bekommen auch noch seit 1996 das exakt gleiche Honorar dafür! Die Verbraucherpreise sind seither um ca. 50% gestiegen.
Wenn ich mir die Einnahmenverteilung in unserer Praxis anschaue, komme ich auf ein Drittel GKV, ein Drittel HzV und ein Drittel Privateinnahmen. Das letzte Drittel müsste um die Hälfte höher sein. Herr Lauterbach enthält uns also jeden Monat 16,5% unserer Praxiseinnahmen vor.
Selbstverständlich sind in dieser Zeit alle Ausgaben gestiegen, was uns dann zweimal trifft – einmal in der Praxis und einmal privat.
Ähnlich, wenn auch nicht ganz so krass, verhält es sich mit dem EBM. Ein weites Zurückrechnen ist ja hier nicht möglich, da ja 2013 der EBM-Punktwert von 3 Cent auf 10 Cent angehoben wurde. Die Vergütung blieb aber genau gleich. Verwirrend! Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Aber es kann ja auch helfen, wenn keiner mehr so genau nachvollziehen kann, wie sich die Vergütung jetzt entwickelt hat.
Seit 2013 lässt sich aber nun wieder nachvollziehen, dass sich der Orientierungspunktwert bis 2022 um 11,3 % erhöht hat – der Verbraucherpreisindex jedoch um 18,4%. Da fehlt den Praxen doch schon wieder ein ordentlicher Batzen. Nach meiner Rechnung werden also unseren Praxen allein dadurch über 20% der Einnahmen vorenthalten.
Von der zweiprozentigen Erhöhung der Vergütung bei einer erwarteten Inflation von bis zu 10% und dem Angebot einer Nullrunde (sic!) für 2024 durch die Krankenkassen wollen wir aufgrund der Absurdität der Situation erst gar nicht reden.
Dass und von diesem ohnehin schon real immer weiter schrumpfenden Honorar dann auch noch durch Budget hier und Höchstgrenze da dann auch noch ein Teil wieder abgeknapst wird, hat dann doch schon wieder surreale Aspekte.
Dieses Geld fehlt uns dann in dem Bemühen, die Versäumnisse der Politik in Sachen Nachfolge für ausscheidende Kolleginnen und Kollegen auszugleichen und junge Kolleginnen und Kollegen, die, von den unsäglichen Bedingungen der Niederlassung abgeschreckt, allenfalls noch angestellt in einer Praxis tätig werden wollen, anzustellen. Das können wir uns gar nicht mehr leisten!
Welche zusätzlichen staatlich verordneten Aufgaben und Pflichten unsere Praxen in den letzten Jahren verordnet wurden und für die wir im Verhältnis zum dafür notwendigen zusätzlichen Zeit- und Arbeitsaufwand entweder gar nicht oder nur minimal entschädigt werden, muss ich Ihnen nicht sagen. Dies in konkrete Zahlen zu fassen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Auch die Tatsache, dass die Leistungen unserer höchst erfahrenen und qualifizierten MFAs in den Praxen für unsere Patienten mit 0,– € bewertet werden, ist ein Skandal, auf den ich hier zunächst noch nicht eingehen will.
Wir werden ja immer noch zu den „Freien Berufen“ gerechnet. Mittlerweile weiß nun aber jeder, dass sich dies nur noch auf das Risiko des wirtschaftlichen Teils unseres Unternehmens „Arztpraxis“ bezieht. Hier sichert uns niemand gegen Krankheit, Invalidität oder Ähnliches ab. Unsere Chancen dagegen sind fest in politischer Hand und werden ausgepresst wie eine Zitrone.
Was ist nun mein Fazit?
Ein wirtschaftliches Unternehmen (das sind unsere Praxen eben auch), dass zu real immer geringeren Einnahmen (bei „normal“ steigenden Ausgaben) gezwungen – ja erpresst – wird, muss zwangsweise irgendwann zugrunde gehen.
Noch nicht einmal ein Politiker wie Herr Lauterbach ist so dumm, das nicht zu verstehen.
Also nimmt er es bewusst in Kauf bzw. will es bewusst so haben.
Der Kollege, den ich zitiere, hat also wohl recht …
Ulrich Kuhn, ein „Wutarzt“