Genossenschaft der fachärztlichen Versorgung
von Kindern und Jugendlichen

2025/2

Schwerpunktthema: Lust auf Pädiatrie und die Genossenschaft

Eigene Praxis und gut davon leben beißt sich nicht

Klaus Deichmann über Erfahrungswerte für die Praxisgründung

Klaus Deichmann war niedergelassener Kinderarzt im Raum Emmendingen und lehrte ambulante Pädiatrie an der Universität Freiburg. Er ist aktives Mitglied bei Paednet Südbaden und einer der Gründer, Berater und Vortragender der PädNetz Akademie.

Herr Deichmann, niedergelassene Kinder- und Jugendärzt:innen gehören anscheinend zur Facharztgruppe mit der höchsten Lebenserwartung. Glauben Sie das?

Ja, das kann ich mir durchaus vorstellen. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht Freude und eine Praxis bietet geregelte Arbeitszeiten, es gibt keine Nachtschichten und Wochenenddienste. Man trifft eigene Entscheidungen und befindet sich nicht in hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen. Das sind, wie ich finde, alles wichtige Aspekte, die in die Überlegung sich niederzulassen, einfließen sollten. Allein die finanziellen Rahmenbedingungen sollten nicht das Entscheidungskriterium für oder gegen eine Praxis sein.

Lohnt es sich in finanzieller Hinsicht, eine Kinder- und 
Jugendarztpraxis zu eröffnen?

Aus meiner Sicht, ja. Der wirtschaftliche Erfolg hängt natürlich von vielen Kriterien ab. Aber mit einer gut laufenden kinder- und jugendärztlichen Praxis erzielt man ein gutes Einkommen und das Risiko, damit in die Insolvenz zu gehen, geht gegen null. Mir ist keine Praxis bekannt, der das passiert ist. Und niedergelassene Ärzt:innen gehören zur bestverdienenden Berufsgruppe in Deutschland, auch wenn es da natürlich eine Spannbreite gibt.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts betrug im Jahr 2022 der durchschnittliche Reinertrag (Differenz zwischen Einnahmen und Betriebsausgaben) von Praxen des Fachgebiets Kinder- und Jugendmedizin rund 276.000 €. Von Arztpraxen insgesamt 315.000 €. Demnach liegt der durchschnittliche Ertrag der pädiatrischen Praxen im Vergleich zu den anderen Facharztpraxen im unteren Mittelfeld. Vertritt die Berufsgruppe der Kinder- und Jugendärzt:innen ihre Interessen in den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen oder der KV nicht ausreichend?

Nein, mit schlechten Verhandlungen hat dies nichts zu tun, da spielen andere Faktoren mit. Die meist junge Elterngeneration, die ja noch am Anfang ihres Berufslebens steht, ist nur bedingt finanzkräftig. Der Anteil privat versicherter Kinder ist niedrig, IGEL Leistungen spielen eine untergeordnete Rolle, teure und lukrativ abrechenbare Gerätemedizin wird selten eingesetzt usw.. Aber andererseits muss man auch nicht so hohe Investitionen tätigen und abbezahlen. Und durchschnittlich im unteren Mittelfeld bedeutet hier immerhin ein sechsstelliger Betrag. Mein Fazit bleibt: eine eigene Praxis zu haben und gut davon zu leben, beißt sich nicht.

Welche Kriterien sind entscheidend, ob eine Praxis gut läuft?

In erster Linie gehört die Lage einer Praxis dazu. Wer sich als dritter in der gleichen Straße einer der beliebtesten Städte niederlässt, muss zumindest anfangs vielleicht um Patient:innen kämpfen. Wer sich aber eher in einem ländlichen Bereich niederlässt, kann sich mitunter kaum vor Patient:innen retten. Hinzu kommt das Angebotsspektrum einer Praxis und – ganz wichtig – die Persönlichkeit der Ärztin oder des Arztes.

Ist mangelndes betriebswirtschaftliches Verständnis für Praxisgründer:innen ein Grund zur Sorge?

Ärzt:innen sind nicht unbedingt Unternehmer:innen und kennen sich mitunter in der Unternehmungsführung nur bedingt aus. Themen wie Abrechnungswesen, Finanz- und Rechnungswesen, Personalmanagement, Fragen der Wirtschaftlichkeit usw. werden während der medizinischen Ausbildung nicht vermittelt. Man kann sich fragen, ob diese Aspekte nicht auch Teil der akademischen Ausbildung sein sollten. Aber Kenntnislücken hierin sind kein Grund sich gegen eine Niederlassung zu entscheiden. Es gibt heute viele Möglichkeiten, um das nachzuholen und bestimmte Aufgabenbereiche kann man an Fremdfirmen vergeben.

Wie lässt sich das Wissensdefizit ausgleichen?

Die kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat sich des Themas angenommen und mehrere Angebote erstellt:

Zum einen bietet sie einen sogenannten Niederlassungsfahrplan an. Mit einer individuellen betriebswirtschaftlichen Beratung können sich junge Ärzt:innen, die eine Praxisgründung planen, einen ersten wirtschaftlichen Überblick verschaffen. Wie sehen die Umsatz- und Gewinnzahlen aus? Welche Kosten kommen auf Praxisgründer- oder -nachfolger:innen zu? Das Angebot ist kostenlos und die erstellte Analyse kann bei Finanzierungsgesprächen der kreditgebenden Bank vorgelegt werden.

Zudem gibt die KVBW die Broschürenreihe „Beratungsservice für Ärzte“ heraus, die in sechs Bänden die Übernahme einer Praxis vorzubereiten hilft. Band fünf mit dem Titel „Grundlagen der Betriebswirtschaft für eine erfolgreiche Praxisführung“ erklärt diesen Part ausführlich.

Schließlich bietet die assoziierte Management-Akademie der KV Seminare zu allen Themenbereichen an, auch zum Thema „Der Weg in die eigene Praxis“.

Und darüber hinaus beschäftigt die KV sehr viele nette Mitarbeiter:innen, die einen ganz persönlich bei Fragen der Niederlassung und der Anfangszeit in der Niederlassung beraten.

Man hat inzwischen also genügend Möglichkeiten, sich auf vielfältige und individuelle Weise mit dem betriebswirtschaftlichen Aspekt einer Praxisübernahme vertraut zu machen und das in einer für den Laien verständlichen Form.

Auch PädNetzS bietet mit der Arbeitsgruppe „Sprung in die Praxis“ ein Seminar an, in dem bereits Niedergelassene nützliche Informationen für die Praxisgründung oder -übernahme weitergeben.

Ja und ich möchte junge Kolleg:innen auch ermutigen, die älteren anzusprechen und nach ihren Erfahrungen zu fragen. Wir haben das doch auch alles mitgemacht und können in der einen oder anderen Sache beraten oder die Angst in Bezug auf bestimmte Dinge nehmen.

Haben die unternehmerischen Anforderungen zugenommen?

Seit ich vor 23 Jahren eine kinder- und jugendärztliche Praxis übernommen habe, hat sich sehr viel geändert. Das bezieht sich nicht nur auf die Zunahme des medizinischen Wissens und die parallel verlaufenden Anforderungen an die evidenzbasierte Medizin, unser eigentliches Kerngeschäft. Wir müssen uns heute mit neuen Kooperationsmodellen in der ambulanten Pädiatrie auseinandersetzen, mit Qualitätsmanagement, Online-Sprechstunden-, Softwareproblemen. Und auch der betriebswirtschaftliche Part ist deutlich komplizierter geworden. Das beginnt bei dem scheinbar banalen Problem der Abrechnung. Reichten uns da vor 23 Jahren noch ein paar Ziffern für die Abrechnung der Scheine gegenüber der KV, hat sich daraus ein komplexes System aus Abrechnungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von Qualifikationen, Diagnosen sowie individuellen Leistungen und kleinen Sonderverträgen einzelner Kassen entwickelt. Das alleine beschäftigt schon eine Kraft. Die Personalverwaltung, die Buchhaltung, die Jahresabschlüsse, die betriebswirtschaftlichen Prüfungen seitens der Finanzämter usw. machen es noch komplizierter.

Was würden Sie jungen Kolleg:innen empfehlen?

Eines vorneweg: niemand erwartet von jungen Kolleginnen oder Kollegen vom Stand weg ein perfektes und fehlerfreies Vorgehen, auch die KV ist anfangs gnädig und macht erst einmal freundlich auf Fehler aufmerksam.

Ich würde jungen Praxisgründer:innen zum einen empfehlen, die betriebswirtschaftliche Beratung der KV wahrzunehmen und sich zum andern den Grundsatz zu Herzen zu nehmen, dass man Aufgaben auf viele Schultern verteilen kann.

Wie kann eine Aufgabenverteilung aussehen?

Mein Plädoyer ist, sich als Ärztin oder Arzt in erster Linie auf die Kernaufgaben zu konzentrieren. Diese sind medizinisch, somatisch, aber auch entwicklungs- und sozialpädiatrisch.
Und darüber hinaus möglichst alle Arbeiten, die nicht akademisch-medizinisch sind, an sonstige Mitarbeiter:innen abzugeben. Wir hatten in unserer Praxis mit vier Ärzten neben unseren medizinischen Fachangestellten eine eigens dazu fortgebildete Kraft, die sich ausschließlich der korrekten Abrechnung angenommen hat. Außerdem haben wir eine halbe Stelle für Sekretariatsarbeit eingerichtet, dadurch war uns und den MFA ein großer Teil der Korrespondenz mit Eltern, Schulen, Kitas usw. abgenommen. Das hat uns Ärzten Freiraum gegeben, uns um die Kinder zu kümmern, unserem eigentlichen Betätigungsfeld. Zugespitzt formuliert, sollte sich ein teuer bezahlter Arzt nicht darum kümmern müssen, Papier zu kaufen oder die Toner der Drucker im Blick zu haben. Seine Expertise ist in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen deutlich besser und effizienter umgesetzt und den finanziellen Spielraum, Leute dafür zu beschäftigen, hat eine durchschnittliche Praxis auch.

Eine weitere Empfehlung ist, einzelne Aufgaben outzusourcen. Dazu gehört die Personalverwaltung, die ich einem Büro überlassen würde, das darauf spezialisiert ist. Viel zu groß ist das Risiko, dass z.B. beim Abführen der Sozialbeiträge teure Fehler unterlaufen. Die Finanzbuchhaltung werden vermutlich sowieso viele dem Steuerberater überlassen. Wenn man seine Rechnungen und Kontoauszüge ungeordnet übermitteln möchte, kostet es etwas mehr, aber auch das kann eine Praxis wirtschaftlich gut tragen und Software zur Kommunikation mit dem Steuerberater macht diese Aufgabe deutlich einfacher.

Welche Aufgaben sollten Praxisbetreiber:innen nicht
abgeben?

Das ist aus meiner Sicht der Umgang mit dem eigenen Personal. Sich mit Personalführung vertraut zu machen, scheint mir auch aus unternehmerischer Sicht einer der wichtigsten Punkte zu sein, den ich niemals aus der Hand geben würde. Obwohl es Unternehmen
gibt, die das anbieten. Ich würde jungen Kolleginnen und Kollegen daher raten, etwas Mühe darauf zu verwenden, sich über den eigenen Führungsstil Gedanken zu machen. Man kann Personalführung lernen. Dazu gehört auch, bestimmte Aufgaben seinen Angestellten anzuvertrauen. Auch wenn man anfangs vielleicht dazu neigt, zu glauben, selbst die Kontrolle über alles behalten zu müssen. Eine gute Personalführung entscheidet darüber, ob Mitarbeiter:innen bleiben. Wenn es einen ständigen Wechsel der Medizinischen Fachangestellten gibt oder Stellen unbesetzt bleiben, bringt das Unruhe in den Praxisablauf und verursacht letztendlich hohe Kosten.

Das Interview führten
Susanne Schöninger-Simon und Jochen Ratmann

Informationen zum Jahresüberschuss von kinder- und
jugendärztlichen Praxen:

• 
DESTATIS 
Einnahmen, Aufwendungen und Reinerträge je Praxis im Jahr 2022 https://www.destatis.de/de/themen/
branchen-unternehmen/dienstleistungen/tabellen/
kost-01-kernmerkmale.html

• 
Zi-Praxis-Panel. Jahresbericht 2023, S. 78
https://www.zi-pp.de/pdf/zipp_jahresbericht_2023.pdf

Im Vergleich:
Reinertrag von Facharztpraxen (1) / Bruttogehalt von Oberärztinnen und -ärzten (2) / Durchschnittliche Bruttoverdienste vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer:innen (3)

Quellen:
(1) 
Destatis: Dienstleistungen Einnahmen, Aufwendungen und Reinerträge je Praxis im Jahr 2022. (Der Reinertrag ergibt sich aus der Differenz zwischen Einnahmen und Betriebsausgaben einer Praxis. Darin nicht berücksichtigt sind u.a. die Einkommenssteuer, Krankenversicherungs- und Vorsorgebeiträge der Praxisinhaber:innen sowie Aufwendungen für die Praxisübernahme)

(2) 
Kununu Gehaltscheck 2025 (zitiert nach Ärztestellen. Der Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblattes, https://arztestellen.aerzteblatt.de/de/redaktion/realistische-gehaelter-das-verdienen-oberaerztinnen-und-aerzte-wircklich

(3) Durchschnittseinkommen nach Branchen 2024 | Statista