Kinderschutz ist nicht nur Aufgabe des Jugendamts – auch Ärzte sowie Fachkräfte in Medizin, Schule, Kita oder Therapie tragen Verantwortung. § 4 des KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) regelt, wann und wie Berufsgeheimnisträger Informationen bei Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt weitergeben dürfen – trotz bestehender Schweigepflicht.
Was regelt § 4 KKG?
§ 4 KKG erlaubt die Übermittlung personenbezogener Daten an das Jugendamt, wenn gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bestehen und die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann.
§ 4 KKG ist also eine gesetzliche Erlaubnisnorm zur Weitergabe von Informationen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.
Es gilt dabei das Prinzip: Hilfe vor Zwang, Kooperation vor Intervention.
Verfahrensablauf nach § 4 KKG
Prüfung auf gewichtige Anhaltspunkte
Der Kinder- und Jugendarzt stellt Anzeichen für eine mögliche Kindeswohlgefährdung fest (z. B. wiederholte Verletzungen, Vernachlässigung, extreme Verhaltensauffälligkeiten).
Gespräch mit dem Kind oder Jugendlichen und den Erziehungsberechtigten
Ziel ist es, die Situation zu erörtern und bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken; es sei denn, das Gespräch als solches gefährdet bereits den Schutz des Kindes oder des Jugendlichen.
Fachliche Beratung
Der Kinder- und Jugendarzt kann eine insoweit erfahrene Fachkraft beim Träger der örtlichen Jugendhilfe nach § 8b SGB VIII hinzuziehen. Dies dient der Einschätzung, ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das kann auch parallel zu Gesprächen mit den Betroffenen erfolgen.
Zu diesem Zweck dürfen der insoweit erfahrenen Fachkraft die Daten übermittelt werden, die für die Beratung erforderlich sind. Aber Achtung: Die Daten sind vor der Übermittlung zu pseudonymisieren. Schließlich muss die insoweit erfahrene Fachkraft in diesem Stadium (bloße Einschätzung, ob überhaupt eine Kindeswohlgefährdung vorliegt) ja nicht wissen, um welche Familie es konkret geht.
Ultima Ratio: Einschaltung des Jugendamtes
Ist die Gefährdung nicht abwendbar oder war das Gespräch mit den Erziehungsberechtigten erfolglos, sollen (nicht: müssen) Kinder- und Jugendärzte das Jugendamt informieren; insbesondere dann, wenn nach ihrer Einschätzung eine dringende Gefahr für das Kindeswohl das Tätigwerden des Jugendamtes erfordert. Das geht auch ohne Einwilligung bzw. gegen den Willen des Kindes oder des Jugendlichen bzw. der Erziehungsberechtigten.
Aber: Es dürfen nur notwendige und relevante Daten übermittelt werden.
Praxisbeispiel
Eine Kinder- und Jugendärztin bemerkt bei einem 3-jährigen Jungen wiederholt Hämatome und Untergewicht. Die Mutter reagiert ausweichend und lehnt Hilfsangebote ab. Die Ärztin sucht Beratung bei einer insoweit erfahrenen Fachkraft (§ 8b SGB VIII), die eine Kindeswohlgefährdung bejaht. Ein Gespräch mit der Mutter verläuft erfolglos. Schließlich informiert die Ärztin das Jugendamt unter Berufung auf § 4 KKG.
✅ Die Informationsweitergabe war rechtlich zulässig, weil:
- eine akute Gefährdung vorlag,
- Beratung erfolgte,
- das Gespräch mit der Mutter keine Besserung brachte,
- das Jugendamt zum Schutz des Kindes notwendig eingebunden werden musste.
Fazit
§ 4 KKG ist eine sogenannte Erlaubnisnorm, die einen Bruch der Schweigepflicht erlaubt, aber nicht zwingend vorschreibt. Kinder- und Jugendärzte haben also einen gewissen Ermessensspielraum. Kommen sie nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass sie ein Kind oder einen Jugendlichen nur durch die Einschaltung des Jugendamtes vor weiterer Gewalt, Verwahrlosung oder anderen Gefährdungen schützen können, so ist die Durchbrechung der Schweigepflicht gerechtfertigt.
§ 4 KKG ist damit ein zentrales Bindeglied zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Kinderschutzauftrag. Er gibt Ärzten rechtliche Sicherheit, wenn sie im besten Interesse des Kindes oder des Jugendlichen handeln und das Jugendamt einschalten.
Wichtig bleibt:
Die Einschaltung des Jugendamtes darf kein Automatismus sein. Der Verfahrensablauf nach § 4 KKG ist einzuhalten. Das setzt eine sorgfältige Prüfung und fachliche Beratung voraus. Die Entscheidung ist gut zu begründen und zu dokumentieren, damit die tragenden Gesichtspunkte nachvollziehbar sind.
Mirja Trautmann
Mirja Trautmann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
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